Bankchef Andreas Treichl glaubt, dass sich Wirtschaftskapitäne künftig um Umverteilung und Wohlstandsvermehrung kümmern müssen.

Foto: Regine Hendrich

Digitale Bezahlsysteme, Blockchain für dezentrale Datenspeicherung, Fintechs, die Finanzprodukte anbieten, ohne der Regulierung zu unterstehen: Das sind nur ein paar Themen, die für Banken existenzielle Bedeutung haben.

STANDARD: Wann werden wir wieder Banken brauchen?

Treichl: Wenn alle pleite sind.

STANDARD: Im Ernst: Braucht es Banken in Zeiten von Blockchain, Bitcoin, Volldigitalisierung noch?

Treichl: Im Bankgeschäft geht es im Wesentlichen um Veranlagung von Liquidität, Vermögensverwaltung, Zahlungsverkehr und Kreditvergabe. Jede dieser Funktionen kann digital angeboten werden und viele Leute wählen für die einzelnen Funktionen unterschiedliche Anbieter. Man kann also sicher nicht sagen, dass Banken in ihrer heutigen Form in zehn, zwanzig, dreißig, vierzig Jahren noch existieren. Aber die Funktionen, die sie erfüllen, wird es weiterhin geben. Vielleicht wird das Bargeld abgeschafft – aber es wird nie eine Zeit kommen, in der es keine Finanzierung, Vermögensverwaltung, keine Form des Zahlungsverkehrs mehr gibt, eben über die unterschiedlichsten Kanäle. Banken wird es nur dann weiterhin geben, wenn sie den Kunden Mehrwert liefern.

STANDARD: Wie muss der aussehen?

Treichl: Es geht schlicht und einfach um Vertrauen und Annehmlichkeit. Banken kümmern sich um das Zweitwichtigste im Leben von Menschen: ums finanzielle Wohlergehen. Das Allerwichtigste ist Gesundheit. Brächten die Leute Ärzten und Apothekern so viel Vertrauen entgegen wie "den Banken", würden sie so sagen: "Ärzte operieren mich nur, um Geld zu verdienen, und Apotheker verkaufen mir nur die Medizin, mit der sie am meisten verdienen und nicht die, die mir am meisten nützt." Soll heißen: Das Vertrauen in die Banken muss gestärkt werden, das ist die Grundvoraussetzung für deren weitere Existenz. Sonst wird das Bankwesen zu einem reinen Versorgungsbereich, wo man sich ohne persönlichen Kontakt Online die Produkte aussucht, die einem am besten gefallen. Auf der anderen Seite müssen wir unser digitales Angebot so attraktiv strukturieren, dass die Kunden auf ihrer Bank-Plattform alles Finanzielle erledigen können. Und wenn sie auf der Plattform kein attraktives Angebot ihrer eigenen Bank finden, müssen sie das von der Konkurrenz darauf finden.

STANDARD: Sie müssen also elektronische Bankplattformen öffnen und teilen.

Treichl: Ja. Die neuen Regulierungsvorschriften erlauben auch, dass Kunden alle ihre Konten und Bankprodukte künftig auf eine einzige Finanzplattform laden.

STANDARD: Filialen wird die Bank der Zukunft kaum mehr brauchen?

Treichl: Filialen und Kundenbetreuer müssen dieselbe Glaubwürdigkeit haben wie ein Allgemeinmediziner, der Spezialprobleme zum Experten in die Klinik überweist. Sonst wird das Bankgeschäft nur noch digital sein, regionale Anbieter hätten kaum Überlebenschancen. Und dann wird es ein Match zwischen Amazon und Alibaba. Persönlicher Rat wird wichtig bleiben, wir müssen daher ebenso viel Geld in die Ausbildung der Mitarbeiter stecken, wie in die Digitalisierung.

STANDARD: Und die Beratung wird extra kosten?

Treichl: Das wäre gefährlich, denn da könnte so etwas wie eine Zweiklassenmedizin entstehen, Beratung im Finanzleben eine Sache für wohlhabende Menschen werden. Manche britische Banken bieten Massenkunden schon heute überhaupt keine Beratung mehr an.

STANDARD: Auch die Bawag spart da jetzt schon sehr.

Treichl: Jedenfalls setzt all das voraus, dass IT-Infrastruktur und Abwicklungskosten der Banken dramatisch sinken, sonst können wir das Personal nicht bezahlen. IT-Lösungen werden via Cloud funktionieren ...

STANDARD: ... und da haben Sie keine Sicherheitsbedenken?

Treichl: Cyber-Security ist ein Riesenthema, denn Banken sind für Cyber-Crime ideale Ziele. Allerdings reduziert jeder neue Sicherheitsmechanismus den Komfort der Kunden.

STANDARD: Wie sehr verändert die Blockchain-Technologie Ihr Geschäft?

Treichl: Sie wird zur totalen Transparenz führen und die Welt so verändern wird wie CRISPR/Cas9 (eine Art Werkzeug, mit dem sich Erbgut formen lässt; Anm.). Aber man kennt die Auswirkungen noch nicht. Setzt sich Blockchain durch, bringt das jedenfalls eine dramatische Veränderung des gesamten Wirtschaftslebens, jede Transaktion wäre jedem zugänglich. Die Position der Banken würde das schwächen, deren Kosten aber wesentlich reduzieren. Karl Marx wäre ein Fan von Blockchain gewesen, weil sie den direkten Weg vom Produzenten zum Konsumenten öffnet, Vermittlerfunktionen, also in dem Fall den Vermittler Bank, braucht man nicht mehr. Der Verkehr zwischen den Banken würde unfassbar viel schneller und einfacher werden, und wir würden mit wesentlich niedrigeren Kosten-Ertragsrelationen arbeiten als heute.

STANDARD: Was muss denn der Banker von morgen können? Früher hat er Betriebswirtschaft studiert, oder Astrophysik für die Berechnungen der Produkte. Eine britische Bank beschäftigt einen Rapper als strategischen Berater, weil der 13 Millionen Follower hat.

Treichl: Banken werden Mitarbeiter brauchen, die in den sozialen Medien zu Hause sind, um zu wissen, wie, wann, wo man die Bedürfnisse der Kunden abdecken kann. Und Mitarbeiter, die die richtigen Algorithmen für Produkte und Regulatorien entwickeln. Und sehr viele, die Zugang zu all jenen Stellen herstellen, die uns ermöglichen, Financial Crime im Ursprung zu entdecken.

STANDARD: ... Hacker also ...

Treichl: Mitarbeiter vom KGB, FBI und BVT (lacht).

STANDARD: Banken haben viele Informationen von Ihren Kunden. Werden sie daraus trotz Datenschutz mehr Geschäft schöpfen?

Treichl: Banken kennen über den Zahlungsverkehr das Geschlecht, das Alter, die Vermögensverhältnisse ihrer Kunden, ohne ihren Namen zu wissen. Wir bekommen aus den Algorithmen unfassbar viel heraus. Ein Vorteil von Banken gegenüber den Amazons dieser Welt ist, dass man uns vertraut, dass wir mit diesen Daten vertraulich umgehen. Das ist ganz, ganz essenziell, diese Grenzen dürfen wir nie überschreiten. Banken dürfen im Online-Geschäft nicht den Fehler wiederholen, den sie im Wirklichen gemacht haben: Alles verklopfen, was man verklopfen kann, um Volumen zu generieren. Dieser Versuchung müssen Banken widerstehen. Wenn wir das vergogeln, dann: Gute Nacht, Banken. Die Vorschriften, die uns Weitergabe von Daten verbieten, sind okay.

STANDARD: Banken könnten die Daten aber intensiver nützen?

Treichl: Ja, wir könnten theoretisch bei jedem Einkauf eines Kunden, der Eis kauft eine SMS schicken: "Das ist dein sechstes Eis in dieser Woche. Hör auf! Ich sehe an deinen Ausgaben in der Apotheke, dass du dick geworden bist, weil du Abmagerungspillen kaufst." Wir könnten das alles.

STANDARD: Was muss denn der Bankchef der Zukunft können?

Treichl: Große Banken üben durch ihr Verhalten Einfluss auf die Region aus, in der sie tätig sind, auf deren Gesellschaft. Was wir zuletzt erlebt haben, wird sich fortsetzen: Dass uns die Politik via Twitter, Facebook und andere soziale Medien zurück in die Vergangenheit bewegt. Die Themen der Politik werden ziemlich altmodisch, aber mit extrem modernen Mitteln umgesetzt. Trump etwa twittert die Welt in eine mauerbauende Vergangenheit. Unsere Politik sollte aber die Zukunft vorbereiten.

STANDARD: Banker werden künftig Politik für die Zukunft machen?

Treichl: Nein, aber die wirklichen gesellschaftlichen Veränderungen kommen schon heute aus der Wirtschaft. Auf jeden Fall wird eine Zivilgesellschaft künftig eine größere Rolle spielen und die Wirtschaft wird ein Teil davon sein. Viele machen sich über Tesla-Chef Elon Musk lustig, aber: Die Dinge, über die er nachdenkt, sind wirklich faszinierend. Der Zusammenhalt der Gesellschaft muss stärker werden und es muss viele Wirtschaftskapitäne geben, die die Notwendigkeiten der Gesellschaft erkennen und sich um Umverteilung und Vermehrung des Wohlstands kümmern.

STANDARD: Profitorientierte Manager sollen für Umverteilung sorgen?

Treichl: Absolut. Es hängt ja davon ab, was man mit den Gewinnen macht. Die Politik allein wird es nicht schaffen, für sozialen Frieden zu sorgen. Ich glaube, dass wir das selber machen müssen. (Renate Graber, 2.7.2018)