Es muss nicht immer Nestroy sein: Paulus Manker versucht sich in Wiener Neustadt an Karl Kraus' "Die letzten Tage der Menschheit". Gespielt wird in- und outdoor.

Foto: Sebastian Kreuzberger

Anreise muss sein. Sommerfestivals finden überwiegend in der Provinz statt. Das ist nicht despektierlich gemeint, sondern unterstützt die Idee der Sommerfrische. Es war in den 1960ern, als Theatermacher aus den Städten nach Spittal an der Drau oder Melk auszogen, um Sommerbühnen aufzuschlagen, die bis dato existieren. Insofern macht es Sinn, wenn heute noch in manchen Premierenreden nach dem Herrn Landeshauptmann, der Frau Bürgermeisterin und dem Herrn Pfarrer auch dem Herrn Straßenbaureferenten gedankt wird. Denn wie kämen wir sonst dahin!?

Belächelt werden Sommertheater gern. Und es gibt dafür ja auch einige handfeste Gründe. Von der oft übereifrig beschworenen "Einzigartigkeit" mancher Spielstätten unter Ruinen, die nichts zur künstlerischen Sache tun, bis zu mediokrer Mimenkunst. Doch die Qualität und Diversität des Angebots ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Und erreicht etwa mit dem Festival Steudltenn (Die stillen Nächte des Ludwig Rainer) im Zillertal sonst wenig beackerte Flecken. Gespannt sein darf man auch auf Paulus Mankers Die letzten Tage der Menschheit in Wiener Neustadt.

Experimente findet man auf den Freiluftbühnen im Großen und Ganzen aber so selten wie Uraufführungen. Vor allem die "Schlachtschiffe" setzen auf Erprobtes. Wiewohl das mittlerweile nicht mehr nur Namen wie Shakespeare oder Nestroy sein müssen, sondern auch ein Filmerfolg wie Monsieur Claude und seine Töchter (Rosenburg) sein kann. Weltpolitische Kommentare unter Sternen sind aber so häufig geworden wie im Stadttheater.

Förderungen sind ein wichtiger Teil der Finanzierung jedes Festivals, sie bewegen sich in den meisten Fällen zwischen 40 und 50 Prozent des Gesamtbudgets. Bund, Länder und Gemeinden können Geld geben, dazu wirbt man um private Sponsoren. Die Wortwiege Thalhof in Reichenau hatte heuer aber Pech und wurde vom Bund nicht als förderungsfähig erachtet. Die Stücktexte wurden bei einer Prüfung als zu wenig "zeitbezogen" empfunden. Auf dem Spielplan steht die Wiederentdeckung Marie von Ebner-Eschenbachs. Gezeigt werden Dramatisierungen ihrer Erzählungen, ergänzt um frische Einakter von Anna Poloni und Theodora Bauer.

Modernisierungsschübe haben die Szene seit Mitte der 1990er erfasst. Gab es zuvor noch Intendanten, die Inszenierungen mit gepuderten Perücken und Kostümorgien ablieferten, erfasste die Verantwortlichen für theatrale Freiluftangelegenheiten nun endlich ein neuer Geist. Das ist nicht nur aus der Kunst zu erklären. Zum einen griffen Regisseure und Schauspieler neue Ästhetiken in den Stadttheatern auf und übertrugen sie auf die Sommerbühnen. Zum anderen änderten sich die politischen Rahmenbedingungen.

Niederösterreich ist ein Spezialfall. Es weist landesweit die höchste Dichte an Sommerspielstätten auf. Erwin Pröll investierte zeit seines Amtes als Landeshauptmann massiv in Kultur – als Tourismusmotor. Von dem Geldsegen angelockt, sprossen Sommerbühnen in Klosterneuburg, Langenlois, Haag oder Staatz aus dem Boden. Die so befeuerte Konkurrenz steigerte die Qualität der Produktionen. Dazu gibt es mit dem Verein Theaterfest eine Interessengemeinschaft, in der sich 20 Bühnen organisieren, die 2016 fast 2,4 Millionen Euro an Förderungen vom Land erhielten. Andere Spielorte werden separat gefördert.

Open air ist die Königsdisziplin des Sommertheaters. Die Neulinge unter den Besuchern unterscheiden sich von den langjährigen darin, dass Letztere Insektenspray auspacken, während die Laien hilflos wacheln. Der andere große Feind der Festspieler waren bisher Wind und Regen. Abgelöst werden die aber zunehmend von Wetterapps. Denn diese lassen Besucher immer öfter am eigenen Blick in den Himmel zweifeln. Zeno Stanek von den Festspielen Stockerau bemerkt einen Rückgang der Verkäufe an der Abendkassa aufgrund der digitalen Angstmache.

Publikumslieblinge sind Publikumsmagneten. Punkt. Nicht wenige Sommertheater punkten damit, dass sie dem Zuschauervolk Menschen live servieren, die es sonst als Kommissare oder aus den Seitenblicken vom Fernsehen kennt. Intendanten wie Alfons Haider (früher in Stockerau) und Kristina Sprenger (seit 2014 in Berndorf) legen Zeugnis davon ab. Wolfgang Böck seinerseits geht als Chef der Schloss Spiele Kobersdorf ins 15. Jahr. Ehrensache, dass er in Arsen und Spitzenhäubchen selbst auf der Bühne steht und weiters für Bike-Touren und Oldtimer-Fahrten zur Verfügung steht. Und wer hat nicht gehört, dass Barbara Karlich vor zwei Jahren in Parndorf die Buhlschaft im Jedermann gab!

Reichenau kennt andere Stars. Die Festspiele von Renate und Peter Loidolt finden heuer zum 30. Mal statt und bieten jedes Jahr die großen Namen auf. Heuer unter anderem Peter Matic, Miguel Herz-Kestranek, Regina Fritsch, Julia Stemberger oder Martin Schwab. Man kann hier seine Publikumslieblinge noch ein bisschen näher sehen als im Burgtheater oder in der Josefstadt. Vielleicht sogar hinterher an der Bar. Ein All-Star-Team kann sich auch der Kultur Sommer Semmering ins Programm schreiben, aber nur, weil Intendant Florian Krumpöck gut vernetzt ist. 2015 haben er und seine Frau das Festival mit einem Minimalbudget übernommen. Fixangestellte gibt es bis heute nicht, nur Praktikanten. Dafür aber Gäste von Birgit Minichmayr über Peter Simonischek, Philipp Hochmair und Angelika Kirchschlager bis Karl Merkatz. Über zwei Drittel des Budgets müssen mit Karten verdient werden.

Skandal gibt es bereits einen. Ein FPÖ-Gemeinderat echauffiert sich über ein Couplet bei den Nestroy-Spielen Schwechat. Kanzler Kurz werde "durch den Kakao gezogen" und die Bundesregierung als "großteils braun" bezeichnet. Er droht mit dem Zudrehen des Geldhahns, sollten die Passagen nicht entfernt werden. Letzteres lehnt Intendant Peter Gruber ab.

Überalterung des Publikums ist evident. Während Sommertheater für junge Schauspieler in prekären Engagements wichtig sein kann, um finanziell über den Sommer zu kommen, nagt am Publikum der Zahn der Zeit. Manchen Veranstaltern zufolge stammen 70 Prozent der Kartenkäufer aus der Altersgruppe 65+.

Wirtschaftsfaktor sind Sommerspiele allemal, vielleicht auch dank des betagten Publikums. Vor allem locken sie Tagestouristen an. Besonders bei Kartenauflagen, die in Melk etwa dreimal so hoch sind wie die Einwohnerzahl des Orts, ein Muss. Umwegrentabilität beschert dabei vor allem der lukullische Konsum. Bei den Raimundspielen Gutenstein betont man die Wertschöpfung in der Region auch auf ideeller Ebene – Ortsansässige erledigen Blumenschmuck, Buffet und Unterbringung der Künstler.

Zahlenmäßig stehen die Sommertheater gut da. Laut Selbstauskunft liegt die Auslastung großteils bei 90 bis 100 Prozent. (Michael Wurmitzer, 2.7.2018)