Die Simulation der Astrophysiker zeigt die Verteilung der Dunklen Materie (oben) und der sichtbaren Sterne (unten).

Foto: E. Garaldi, C. Porciani, E. Romano-Díaz /Universität Bonn

Bonn – Eine der größten Fragen der Kosmologie lautet: "Warum fliegen Galaxienhaufen nicht einfach auseinander?" Eigentlich bewegen sich die einzelnen Sterninseln nach bisherigen Messungen schnell genug, um die Ansammlung letztlich auseiandertreiben zu lassen. Das Problem hat vor rund 80 Jahren bereits den Astronomen Fritz Zwicky beschäftigt. Der Schweizer schlug schließlich die Anwesenheit einer versteckten Materie vor, deren Gravitation die Galaxienhaufen zusammenhält. In den 1970er Jahren beobachtete seine US-Kollegin Vera Rubin ein ähnliches Phänomen bei Spiralgalaxien: Sie rotieren so schnell, dass sie eigentlich durch die Fliehkraft zerrissen werden sollten.

Keine Spur von Axionen und WIMPs

Heute gehen die meisten Physiker davon aus, dass es diese unsichtbare Substanz, die Dunkle Materie, tatsächlich gibt und rund 80 Prozent der Masse im Universum ausmacht. Da sie nicht mit Licht interagiert, ist sie für Teleskope nicht direkt zu erkennen. Allerdings würde ihre Existenz hervorragend zu einer Reihe weiterer Beobachtungen passen – etwa zur Verteilung der Hintergrundstrahlung, die sich als ein "Nachglühen" des Urknalls bemerkbar macht. Auch die Anordnung und Entstehungsgeschwindigkeit der Galaxien im Universum lässt sich mit ihr gut erklären.

Obwohl Wissenschafter mittlerweile eine ganze Reihe an theoretischen Kandidaten vorgeschlagen haben – etwa Axionen, WIMPs, oder schwere sterile Neutrinos – steht ein direkter Nachweis für die Existenz der Dunklen Materie trotz zahlreicher experimenteller Bemühungen bislang aus.

Modifizierter Newton?

Das brachte einige Astronomen auf die Idee, dass sich die Gravitationskräfte selbst möglicherweise anders verhalten als bislang gedacht. Laut dieser Theorie namens MOdifizierte Newton'sche Dynamik, oder kurz MOND, gehorcht die Anziehung zwischen zwei Massen nur bis zu einem bestimmten Punkt den Newton'schen Gesetzen. Bei sehr kleinen Beschleunigungen, wie sie in Galaxien vorherrschen, wird die Gravitation dagegen erheblich stärker. Das wäre auch eine Erklärung dafür, warum Galaxien durch ihre Drehgeschwindigkeit auch nicht auseinander fliegen, ganz ohne Dunkle Materie.

Nun haben Wissenschafter der Universität Bonn und der University of California in Irvine anhand von Simulationen eine Möglichkeit entdeckt, die zwei Hypothesen zu überprüfen. Die Astrophysiker haben auf dem Supercomputer Cartesius in den Niederlanden die Materieverteilung so genannter Satelliten-Galaxien simuliert. Das sind galaktische Zwerge, die etwa die Milchstraße oder den Andromedanebel umkreisen.

Dunkler Beschleuniger

Im Zentrum ihrer Überlegungen stand die sogenannte "radial acceleration relation" (RAR): In Galaxien bewegen sich die Sterne auf kreisförmigen Bahnen um ein Zentrum. Sie unterliegen also einer Beschleunigung, die sie zu einem ständigen Wechsel ihrer Richtung zwingt und durch die Anziehungskraft der Materie in der Galaxie verursacht wird. Wenn man nur die sichtbare Materie zugrunde legt, müsste die Beschleunigung sehr viel geringer ausfallen. Die RAR beschreibt damit das Verhältnis zwischen diesem Wert und der tatsächlich beobachteten Beschleunigung. Sie erlaubt so einen Einblick in die Struktur von Galaxien.

"Wir haben nun, zum ersten Mal, die RAR von Zwerggalaxien unter der Voraussetzung simuliert, dass es Dunkle Materie gibt", erklärt Cristiano Porciani vom Argelander-Institut für Astronomie der Universität Bonn und Hauptautor der in den "Physical Review Letters" präsentierten Studie. "Dabei zeigte sich, dass diese sich im Prinzip genauso verhalten wie große Galaxien." Was aber, wenn es keine Dunkle Materie gibt und stattdessen die Gravitation anders "funktioniert", als Newton es sich dachte? "Arbeitsgruppen vor uns konnten zeigen, dass dann die RAR von Zwerggalaxien stark von der Entfernung zu ihrer Muttergalaxie abhängt, während das nicht passiert, wenn Dunkle Materie existiert", erklärt Koautor Emilio Romano-Díaz.

Langes Warten auf die Antwort

Damit eignen sich die Ergebnisse als Test dafür, ob es Dunkle Materie wirklich gibt. Eine Antwort soll die Raumsonde Gaia liefern, die 2013 von der europäischen Raumfahrtagentur ESA ins All geschickt wurde. Sie wurde konzipiert, um Satelliten-Galaxien und Sterne der Milchstraße im Detail zu studieren. Allerdings wird des Rätsels Lösung wohl noch einige Jahre auf sich warten lassen. Mit Einzelmessungen würden sich die kleinen Unterschiede, die sie festgestellt hätten, nicht entdecken lassen, meinen die Forscher. Dazu seien sind die Instrumente von Gaia nicht genau genug." Erst wiederholte Aufnahmen der gleichen Sterne erlauben mit der Zeit immer genauere Aussagen. Früher oder später sollte sich dadurch feststellen lassen, ob sich die Zwerg-Galaxien wie in einem Universum mit Dunkler Materie verhalten – oder eben nicht. (red, 2.7.2018)