Rund 200 Züge sind am Montag laut ÖBB ausgefallen.

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Die Betriebsküche ist an diesem Morgen außergewöhnlich gut besucht. Einige Mitarbeiter haben keinen Sitzplatz mehr gefunden, sie müssen von draußen, vor der Tür aus lauschen. Es ist kurz nach sieben Uhr, als die Betriebsversammlung der ÖBB-Mitarbeiter am Stützpunkt Matzleinsdorfer Platz, unweit des Wiener Hauptbahnhofes, eröffnet wird. Mehr als 100 Bahnmitarbeiter sind gekommen. Mechaniker im blauen Arbeitsanzug sind dabei, auch viele Lokführer. Fast nur Männer sind im Raum, einige Mitarbeiter halten Schilder mit einem durchgestrichenen 60er in die Höhe.

Etwas mehr als eine Stunde werden der Betriebsrat und die angereisten Gewerkschafter mit der Belegschaft über die geplante türkis-blaue Arbeitszeitreform und den Zwölfstundentag diskutieren. Der Ton dabei: kämpferisch. Dazwischen wird gewitzelt.

Nichts zu verschenken

"Wir werden nichts herschenken", ruft Günter Blumthaler von der Dienstleistungsgewerkschaft Vida den Eisenbahnern zu. "Sozialpartnerschaft heißt, dass einmal der eine und dann der andere gibt", sagt er. Ebendieses Prinzip durchbreche das geplante türkis-blaue "Drecksgesetz" zur Arbeitszeitreform. Applaus brandet auf.

Im Raum Wien sind Montagfrüh rund 200 ÖBB-Züge ausgefallen
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An die 200 Betriebsversammlungen wie jene am Matzleinsdorfer Platz dürften am Montag österreichweit in den Stützpunkten der ÖBB zum Thema Arbeitszeit abgehalten worden sein. In Wien ebenso wie in Linz, Graz oder in kleineren Orten wie Wiener Neustadt. Lahmgelegt haben die ÖBB-Mitarbeiter den Verkehr nicht. Laut dem Unternehmen sind von gut 5.000 Personenzügen, die am Montag planmäßig fahren sollten, etwa 300 ausgefallen.

Die Verzögerungen für Reisende hielten sich in Grenzen. In Österreich, einem Land, wo es so gut wie keine Arbeitskämpfe gibt und Streiks eher in Sekunden denn in Tagen gezählt werden, waren die Betriebsversammlungen der Bahn am Montag aber doch so etwas wie eine Störung gewohnter Abläufe. Aber warum regen sich Bahngewerkschafter und Betriebsräte überhaupt auf?

Der Billa liefert

Das neue Arbeitszeitgesetz durchlöchere den "Schutzschirm" für Mitarbeiter, warnt Vida-Chef Roman Hebenstreit am Matzleinsdorfer Platz, wo sich neben einer Remise auch eine Reparaturwerkstätte für Züge befindet. "Wir werden uns dagegen wehren. Wir sind die Eisenbahner, die zusammenstehen." Auch dafür gibt es Applaus. Etwas später wird ein Lokführer laut sagen, dass er durch die neuen Regelungen zum Zwölfstundentag fürchtet, nicht einmal mehr Zeit zum Einkaufen zu haben. Es gehe quasi ums Überleben. "Geh bitte", ruft ein Kollege dazwischen. "Der Billa liefert eh schon." Dafür gibt's lautes Gelächter.

Werbeschild der Industriellenvereinigung vor der ÖGB-Zentrale in Wien.
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In der Betriebsratssitzung am Matzleinsdorfer Platz werden diverseste Befürchtungen geäußert. Manche werden konkret untermauert, andere weniger. "Freizeit wird weniger planbar für uns", sagt ein Betriebsrat. "Sie wird gar nicht mehr planbar", ruft ein Eisenbahner.

Im geplanten türkis-blauen Gesetz ist allerdings ein Ablehnungsrecht für Arbeitnehmer vorgesehen, die keine elfte und zwölfte Stunde bleiben wollen. Warum also die Angst? Freiwilligkeit im Job, so etwas gibt es doch nicht, sagen hier viele, die Vorstellung sei "schwachsinnig". Viel gefragt wird danach, was sich nun konkret ändert, wer Überstunden künftig anordnen darf. So exakt kann das der Betriebsrat nicht beantworten. Tenor: Der Arbeitgeber bekommt mehr Rechte.

Kaum Änderungen, sagt ÖBB-Führung

Welche Auswirkungen das geplante Arbeitszeitgesetz auf Bahnmitarbeiter haben wird, ob sich überhaupt etwas ändert, lässt sich von außen nicht wirklich abschätzen. Das ist auch eine Folge davon, dass es keine intensive parlamentarische Begutachtung für die von ÖVP und FPÖ geplante Reform gibt. Schon diesen Donnerstag soll das neue Gesetz beschlossen werden. Unabhängige Experten haben kaum Zeit für die Analyse.

Am Samstag protestierten die Gewerkschaften in Wien gegen das neue Arbeitszeitgesetz.
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Laut einem Informationsschreiben, das von der ÖBB-Konzernführung an Mitarbeiter versandt wurde und aus dem die APA zitiert, wird die türkis-blaue Reform praktisch keine Änderungen bringen. In der ÖBB seien Zwölfstundentage bereits möglich. Unternehmer und Arbeitnehmer tragen die aktuelle Regelung mit, heißt es in dem Schreiben.

Die Machtbalance kippt, sagt der Betriebsrat

Gewerkschafter widersprechen. Für die ÖBB mit ihren rund 41.000 Mitarbeiter gelten über ein Dutzend Kollektivverträge. Nicht alle sehen den Zwölfstundentag vor. Auch am Matzleinsdorfer Platz, wo sich nach der Sitzung in der großen Runde Mechaniker und Lokführer zu separaten Besprechungen einfinden, sehen die Sache viele anders als die Konzernführung.

Fakt ist, dass Triebwagenführer schon heute zwölf Stunden arbeiten dürfen, wenn dies der "Aufrechterhaltung" des Betriebes dient. So steht es in einem eigenen Kollektivvertrag zur Arbeitszeit bei der ÖBB drinnen. Wer den Lokführern zuhört, gewinnt den Eindruck, dass die Möglichkeit zu Zwölfstundentagen in der Praxis gar nicht nur in Ausnahmefällen genutzt wird. Lange Arbeitsschichten sind nicht einmal unbeliebt, weil dafür geblockte Freizeit konsumiert werden kann. Auch das ist im Kollektivvertrag festgeschrieben. Wer lang genug den Diskussionen lauscht, kommt zum Schluss, dass die Arbeitnehmervertreter auch weniger fürchten, dass das neue Arbeitszeitgesetz den Alltag der Eisenbahner direkt verändern wird. Sie sehen aber eine Verschiebung der langfristigen Machtbalance.

Sorge um Versicherung der Eisenbahner

Aktuell sind Zwölfstundentage für Lokführer und das Zugpersonal eben über den Kollektivvertrag geregelt. "Künftig werden die Unternehmer die Arbeitnehmerseite dafür nicht mehr brauchen", sagt Anton Dietmair, Betriebsratsvorsitzender am Hauptbahnhof. In den Kollektivvertragsverhandlungen werde die Position der Arbeitnehmer geschwächt.

Zudem gibt es noch eine Reihe anderen Themen, die vom Betriebsrat angesprochen werden, weil man Verschlechterungen fürchtet. Angesprochen wird etwa, dass ÖVP und FPÖ den so genannten Jugendvertrauensrat abschaffen wollen, der von den jungen Mitarbeitern in einem Betrieb als eigene Vertretung neben dem Betriebsrat gewählt ist. Dafür soll künftig das Wahlalter bei Betriebsratswahlen von 18 auf 16 sinken.

Laut Regierungsplänen soll die derzeitige Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau, die auch für Pensionen zuständig ist, mit der Beamtenversicherung verschmolzen werden. ÖVP und FPÖ sagen, sie wollen die Organisationsstruktur der Sozialversicherungen damit straffen und Verwaltungskosten sparen. Gewerkschafter warnten am Montag bei den ÖBB vor einer Schlechterstellung des Bahnpersonals. Derzeit habe man eine eigene Versicherung, die sich um die Belange der Eisenbahner kümmert, "künftig werden wir nur einige von vielen sein".

Für den Herbst kündigen die Gewerkschafter von der Vida weitere Protestmaßnahmen an. "Wir wollen die Österreicher nicht quälen", sagt ein Betriebsrat, "aber trotzdem auf unser Anliegen aufmerksam machen." (András Szigetvari, 2.7.2018)