Wien – In der hervorragenden STANDARD-Serie "Aus dem Klassenzimmer" erhalten Interessierte Einblicke in den heutigen Schulalltag. Im Wiener Straflandesgericht erfährt man bei einem Prozess von Richter Daniel Rechenmacher gegen zwei Teenager wiederum, was nach dem Unterricht so alles passiert.

Die Geschichte dreht sich um drei Personen: Erstangeklagter Fitim R. (Name geändert, Anm.) ist 15 Jahre alt und soll in einem schwer überschaubaren Verhältnis zu seiner Schulkollegin Laura K., ebenfalls 15, gestanden sein. Deren Freund, Lehrling Dominik P., ist gerade noch 17 und der Zweitangeklagte.

Die beiden unbescholtenen männlichen Jugendlichen sollen sich am 2. März wechselseitig vor einer Schule in Wien-Josefstadt am Körper verletzt haben, für R. endete die Auseinandersetzung mit einem verschobenen Nasenbeinbruch, einer Gehirnerschütterung und einer Nacht im Spital. P. soll einen – nicht dokumentierten – Bluterguss am Kinn erlitten haben.

Streit mit bester Freundin

Der Erstangeklagte bekennt sich zum Vorwurf der Körperverletzung nicht schuldig und beruft sich auf Notwehr. "Es war ein ganz normaler Schultag, meine damals beste Freundin Laura und ich haben gestritten" erinnert sich der Teenager. Nach Schulschluss sei er mit seinem Cousin auf dem Weg zur Straßenbahn gewesen, als ihn ein damals noch Unbekannter, der sich als P. entpuppte, angesprochen hat.

"Er hat mich gefragt, ob ich der Fitim bin und ob wir auf die andere Straßenseite gehen können." R. dachte sich nichts dabei und folgte mit seinem Cousin, auf der anderen Straßenseite habe ihm der Zweitangeklagte Vorwürfe wegen seines Streits mit Laura gemacht und sei immer aggressiver geworden. "Wenn du das noch einmal machst, wird es schlimmer ausgehen als jetzt", soll P. gesagt haben und ihm dann mit einer schlagringbewehrten Faust einen Schlag ins Gesicht verpasst haben, der die Nase brechen ließ.

"Danach war mir schwarz vor den Augen und ich habe mich gewehrt – vielleicht habe ich ihn dabei getroffen, das weiß ich nicht", entschuldigt sich der Schüler. Sein Cousin habe noch versucht, die Kontrahenten zu trennen, dann sei auch schon eine Lehrerin gekommen, und P. und Laura seien weggelaufen.

Widersprüchliche Beziehungsstruktur

Ein Punkt ist dem Richter noch nicht ganz klar: "Worum ging es denn bei dem Streit mit Laura?" – "Im Jänner hatten wir kurz eine Liebesgeschichte. Danach hatte ich was mit einem anderen Mädchen, und sie war eifersüchtig", lautet die Erklärung des Mazedoniers.

Der Zweitangeklagte bekennt sich zwar zum Vorwurf der schweren Körperverletzung schuldig – will aber ebenso nur in Notwehr gehandelt haben. "Ich habe die Laura abgeholt und sie ist weinend herausgekommen. Auf dem Weg zur Straßenbahn hat sie mir erzählt, dass R. gemein zu ihr gewesen ist. Ich wollte mit ihm in Ruhe reden, er wurde aber immer aggressiver."

Laut P.s Darstellung habe ihn R. zuerst geschlagen, dann wollte der Cousin sie trennen, und er habe blind über dessen Schulter geschlagen, um weitere Angriffe abzuwehren. Dabei müsse die Nase gebrochen sein. Einen Schlagring, von dem R. und sein Cousin sprechen, habe er aber garantiert nicht gehabt.

Problem mit der Körpergröße

Der Cousin bestätigt als Zeuge die Aussage seines Verwandten, Laura – die übrigens bestreitet, mit dem Erstangeklagten eine Beziehung gehabt zu haben – jene ihres Freundes. Allerdings gibt es bei dieser Version ein Problem. Laut der Jugendlichen sei der etwa 1,75 Meter große P. auf der Straße gestanden, dazwischen der an die 1,90 Meter große Cousin und dann der 1,80 Meter große Erstangeklagte.

Rechenmacher lässt die drei männlichen Teenager zwecks Größenvergleichs nebeneinander aufstellen und hält einen nasenzerschmetternden Schlag über die Schulter des Cousins für möglich – scheint aber den Niveauunterschied zwischen Straße und Gehsteig nicht einzuberechnen.

Es gibt noch eine zweite Ungereimtheit: Der Zweitangeklagte und seine Freundin beteuern, R. sei schon zu Beginn so aggressiv gewesen, dass er seine Schultasche zu Boden geschleudert habe. Die Lehrerin, die einzig unbeteiligte Zeugin, behauptet dagegen, das sei erst nach dem Schlag auf die Nase passiert. Den habe sie zwar nicht direkt beobachtet, aber R. habe sich die Hände vor das Gesicht gehalten.

Beide wollen Polizisten werden

P.s Verteidiger Heinrich Vana bietet 1.000 Euro Schmerzensgeld an, R.s Rechtsvertreter Mirsad Musliu will 1.500 Euro, was schließlich akzeptiert wird. Verurteilen will Rechenmacher die beiden, die als Berufswunsch Polizist angeben, nicht. Er nimmt einen Raufhandel an und bietet eine diversionelle Erledigung. R. muss 20 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. P. das Geld an R. innerhalb seiner Probezeit von zwei Jahren zahlen, zusätzlich muss er zur Männerberatung und, so dort eine Notwendigkeit gesehen wird, ein Antigewalttraining absolvieren. (Michael Möseneder, 2.7.2018)