Der gemessene "Schub-Effekt" des EmDrive geht nicht auf mysteriöse Wechselwirkungen zwischen Mikrowellen und dem Quantenvakuum zurück. Er ist allein dem Aufbau des Experiments geschuldet.

Foto: roger shawyer

Eine menschliche Kolonie am Mars. Eine langfristige Erkundung des äußeren Sonnensystems. Oder gar ein Flug darüber hinaus bis zu den nächsten Sternen. All das wird es auf absehbare Zeit nur in der Science-Fiction geben. Denn das grundlegende Problem der Raumfahrt lässt sich nicht so einfach beseitigen: Der Weltraum ist riesig, und die Distanzen zwischen den Himmelskörpern sind für uns Menschen fast unüberbrückbar. Unsere Raumfahrzeuge sind viel zu langsam, um solche Reisen in annehmbaren Zeiträumen zu ermöglichen. Die Antriebssysteme brauchen zu viel Treibstoff, dessen Transport ins All uns vor logistische Probleme stellt. Und einen überlichtgeschwindigkeitsschnellen Warp-Antrieb gibt es nur auf dem Raumschiff Enterprise.

Dementsprechend groß war die (mediale) Aufregung, als die Nasa 2014 einen kurzen Bericht über ein neuartiges Antriebssystem veröffentlichte. Der Titel der Arbeit war nüchtern – "Anomalous Thrust Production from an RF Test Device Measured on a Low-Thrust Torsion Pendulum" – aber der Inhalt potenziell spektakulär. Man hatte sich mit dem "EmDrive" beschäftigt, ein Konzept des britischen Ingenieurs Roger J. Shawyer. Er entwarf einen kegelförmigen Hohlraum aus Kupfer, in dessen Innerem Mikrowellen hin und her reflektiert werden. Aus ungeklärten Gründen soll dadurch ein Schub erzeugt werden, der diesen EmDrive bewegt.

Revolutionärer Antrieb

Das Konzept widerspricht den Grundlagen der Physik. Es wäre in etwa so, als würde man ein Auto dadurch vorwärts bewegen wollen, in dem man von innen fest gegen die Windschutzscheibe drückt. Das ist unmöglich, auch bei einem Raketenantrieb. Hier kommt man – vereinfacht gesagt – nur dann vorwärts, wenn man irgendetwas nach hinten ausstößt. Deswegen braucht eine Rakete ja auch Treibstoff, wenn sie beschleunigen will. Der EmDrive aber versprach einen treibstofflosen Antrieb. Man würde nur Strom brauchen, der sich im Weltall etwa aus Solarenergie oder Radionuklidbatterien gewinnen lässt, und könnte damit Mikrowellen und Schub produzieren.

Eine Theorie, die in Konflikt mit den Fundamenten der bekannten Physik steht. Und doch berichteten die Nasa-Wissenschafter um Harold White von der Messung einer kleinen, aber vorhandenen Schubkraft. Den Grund dafür kannten sie nicht, waren sich aber sicher, dass es nichts mit klassischer Physik zu tun hatte, sondern vielleicht auf eine Interaktion mit einem "virtuellen Plasma im Quantenvakuum" zurückzuführen sei.

Kritische Stimmen

So begeistert diese Ergebnisse von der Öffentlichkeit aufgenommen wurden, so kritisch war die Stimmung in der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Um fundamentale Grundlagen der Physik wie die Impulserhaltung oder die Newton'schen Bewegungsgesetze ignorieren zu können, braucht es mehr als ein Experiment. Vor allem braucht es ein Experiment, das ohne jeden Zweifel den Effekt demonstriert, den es demonstrieren will. Erst dann kann man seriöserweise darüber nachdenken, welche neue Theorie man zur Erklärung des Effekts entwickeln muss.

Aber so weit war der EmDrive noch lange nicht. Der gemessene Effekt war alles andere als deutlich. Und so gut wie alle Fachleute waren sich einig, dass man hier keine mysteriöse Schubkraft gemessen, sondern das Resultat eines nicht sorgfältig genug geplanten Versuchsaufbaus vor sich hatte. Die Arbeit von White und seinen Kollegen war kein groß angelegtes Projekt der Nasa, sondern wurde quasi "nebenbei" durchgeführt. Da wäre es nicht überraschend, wenn sich ein Messfehler einschleicht.

Zwei Jahre später machte der EmDrive erneut Schlagzeilen. Anstatt in einer kurzen Nachricht auf der Nasa-Homepage hatten White und Kollegen ihre Versuche nun "offiziell" in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift veröffentlicht ("Measurement of Impulsive Thrust from a Closed Radio-Frequency Cavity in Vacuum"). Das allein machte die ganze Angelegenheit nicht weniger umstritten und den EmDrive nicht weniger inkompatibel mit den Fundamenten der Wissenschaft. Aber jetzt, da alle relevanten Daten vernünftig publiziert waren, konnte die "Qualitätskontrolle" der Wissenschaft ihre Arbeit aufnehmen.

Penible Überprüfung

Das hat vor allem das Institut für Luft- und Raumfahrttechnik der Technischen Universität Dresden übernommen. Sein Direktor, der österreichische Physiker Martin Tajmar, erforscht dort nicht nur neue, sondern auch unkonventionelle Arten der Fortbewegung im Weltall. Tajmar hat sich mit seiner Arbeitsgruppe intensiv mit dem EmDrive beschäftigt. Um Klarheit über die Existenz dieser mysteriösen Schubkraft zu bekommen, hat man an der TU Dresden den Versuchsaufbau der Nasa-Gruppe reproduziert – und dann in eine Vakuumkammer gestellt, um äußere Einflüsse ausschließen zu können.

Mit einer extrem genauen Torsionswaage konnten auch kleinste Schubkräfte gemessen werden. Alles war soweit wie möglich automatisiert, um die Versuchsbedingungen ändern zu können, ohne das Experiment selbst berühren zu müssen. Man berücksichtigte bei den Versuchen in Dresden auch Veränderungen in der Umgebungstemperatur, Vibrationen der Geräte sowie den Einfluss elektromagnetischer Felder. Kurz gesagt: Man tat alles, um äußere Störungen und Messfehler auszuschließen.

Doch kein Antrieb

Die Ergebnisse ihrer Arbeit haben Tajmar und seine Kollegen im Mai 2018 veröffentlicht ("The SpaceDrive Project – First Results on EMDrive and Mach-Effect Thrusters"). Anfangs stimmten die Daten mit denen der Nasa überein: Wenn im Inneren des Kegels Mikrowellen reflektiert werden, entsteht eine kleine Schubkraft. Allerdings konnten die Forscher diese Kraft auch dann messen, wenn gar keine Schub produziert werden sollte. Selbst wenn der EmDrive so eingestellt wurde, das sich keine Mikrowellen im Kegel befanden, ließ sich die gleiche Kraft messen. Die Erklärung von Tajmar und seinen Kollegen: Der Effekt geht nicht auf irgendwelche mysteriösen Wechselwirkungen zwischen den Mikrowellen und dem Quantenvakuum zurück. Er ist schlicht und einfach auf die (absolut mit den Gesetzen der Physik kompatible) Wechselwirkung zwischen dem Erdmagnetfeld und den stromführenden Kabeln des EmDrives zurückzuführen.

Das Ergebnis war also genau das, was eigentlich alle erwartet haben: Der revolutionäre Antrieb, der den Grundlagen der Physik zu widersprechen schien, ist weder revolutionär noch ein Widerspruch. Und genaugenommen ist er nicht einmal ein Antrieb, sondern nur das Resultat eines nicht sorgfältig genug geplanten Experiments.

Natürlich wollen nicht alle die Ergebnisse von Tajmar und Kollegen wahrhaben. Auch gibt es niemals ein "perfektes" Experiment; wer lange genug sucht, findet auch an Tajmars Versuchsaufbau etwas zu kritisieren, womit man den EmDrive in der Theorie doch noch retten könnte. Aber realistisch betrachtet sollte man nicht allzu viel Hoffnung darauf setzen, in naher Zukunft mit einem EmDrive durchs Weltall fliegen zu können.

Schade, aber gut

Das ist zwar schade für alle, die gerne den Weltraum erforschen und besiedeln wollen, für alle, die darauf warten, dass die Science-Fiction endlich Realität wird. Es ist aber sehr gut für die Wissenschaft. Denn abgesehen von dem besonders spektakulären Thema ist die Geschichte um den EmDrive genau das, was die wissenschaftliche Methode ausmacht. Kein Mensch ist perfekt – das gilt ganz genauso für die Menschen, die in der Forschung arbeiten.

Wer forscht, macht Fehler. Wer forscht, prüft aber auch die Forschung anderer. Dabei werden die Fehler – idealerweise alle – entdeckt und korrigiert. Nur so kann sichergestellt werden, dass wir wirklich neue Dinge entdecken. Und wenn wir irgendwann doch einmal mit einem futuristischen Antrieb zu den Sternen fliegen, dann nur deshalb, weil wir konsequent an dieser Methode festgehalten haben. (Florian Freistetter, 3.7.2018)