Sabine Haag ist Direktorin des Kunsthistorischen Museums Wien und seit 2018 Präsidentin der österreichischen Unesco-Kommission.

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STANDARD: Die Bundesregierung hat mit ihrem dreistufigen Maßnahmenkatalog einen Aufschub für die Entscheidung über den Unesco-Welterbestatus erwirkt. Von "Welterbe-Aktionismus" war in den Medien zu lesen, Stimmen interpretieren diesen Aufschub sogar als Nachgeben der Unesco. Was verspricht sich die Unesco von diesen Maßnahmen?

Haag: Das Welterbe-Komitee tagt derzeit in Bahrain und es war bekannt, dass Wien thematisiert werden wird. Im Vorfeld hat es diesen Vorschlag der Bundesregierung gegeben, einen Drei-Stufen-Plan aufzusetzen, um eben die erwarteten Maßnahmen zu treffen und der Unesco die Möglichkeit einzuräumen, Wien wieder von der Roten Liste zu streichen. Wenn man jetzt gar nichts gemacht hätte, hätte es diesen Aufschub um ein Jahr gar nicht erst ergeben. Die Unesco will unter keinen Umständen Welterbestätten verlieren, sie unternimmt also alles, um den Staaten mit den gefährdeten Stätten zu helfen. Mit dem Aufschub und dem Drei-Stufen-Plan ist einer Entscheidung überhaupt noch nicht vorgegriffen worden und es gibt dadurch auch noch keine entscheidende Weichenstellung. Aus dem Resultat des Drei-Stufen-Plans muss ein Fortschritt ablesbar sein, nämlich wirklich der Wunsch und der Wille, dass etwas getan werden muss, um diesen Welterbe-Status nicht zu gefährden.

STANDARD: Um es konkreter zu machen: Was sind dann diese konkreten Fortschritte? Woran würden sich die festmachen lassen? Wo müsste der Kompromiss sein?

Haag: Kompromiss soll es keinen geben. Die Kriterien, die für die Anerkennung des Welterbestatus gelten, sind ja unverändert. Die Unesco hat nur beratende Funktion, sie selbst kann die Welterbestätten nicht beschützen, Lösungsvorschläge müssen von den Akteuren – in dem Fall von der Stadt Wien gemeinsam mit der Bundesregierung – vorgelegt werden. Das heißt man wird intensiv diskutieren müssen, was sind die jetzigen Elemente, die gegen den Welterbe-Status verstoßen – und da steht sicherlich derzeit das Heumarkprojekt ganz im Fokus.

STANDARD: Und da geht es um die Höhe – und nur um die Höhe.

Haag: Ja, um die Höhe des Turms. Sollte es hier zu keiner Bewegung kommen, also sollte das Projekt so wie es derzeit auch von der Stadt Wien genehmigt ist, auch tatsächlich umgesetzt werden, das wäre ein klarer Verstoß gegen die Vorgaben des Welterbestatus. Es geht natürlich auch noch um mehr: Auch alles, was in der Kernzone mit dem Welterbe-Status liegt, wird dieser kritischen Monitoring-Mission unterzogen. Über den Heumarkt hinaus ist sicherlich auch die Karlskirche-Wien Museum-Problematik Thema und – aber in der Bedeutung wesentlich nachgerückt – das Schwarzenbergpark-Projekt. Aber all das spielt eben zusammen. Es wird genau evaluiert und diskutiert werden, ob man überall, wo die Unesco kritisch draufschaut, zu Fortschritten in der Planung kommt und wie die korrektiven Maßnahmen aussehen. Wenn das Unesco-Welterbe-Komitee hier konkrete Verbesserungsvorschläge erkennen kann, könnte noch Bewegung in die Sache kommen.

STANDARD: Geht es der Unesco-Welterbe-Kommission auch darum, überbordende Investoreninteressen zu zügeln?

Haag: Die Fragen, wie die Investoreninteressen hineinspielen, das geht die Stadtplanung an. Die Unesco ruft grundsätzlich auf zu einem sorgsamen Umgang mit Kulturerbe. Ein großer Wunsch ist, dass es zu einem "Regelwerk" kommt, das es erleichtern wird, Projekte in der Entwicklungsphase – nicht wenn sie schon durch sind – gut und strukturiert diskutieren zu können.

STANDARD: Man könnte es auch so sagen: Wenn diesem Heumarkt-Projekt nicht Einhalt geboten wird, dann öffnet man Tür und Tor für weitere Projekte in der Vertikalen.

Haag: Natürlich. Aber es liegt nicht an der Unesco Maßnahmen vorzuschlagen, sondern das Welterbekomitee der Unesco entscheidet darüber, ob die Kriterien des Welterbestatus eingehalten werden. Die Unesco hat keinen "Handlungsspielraum": Das heißt, es liegt nicht an der Unesco Dinge vorzuschlagen, sondern es liegt jetzt an der Stadt Wien, Dinge vorzuschlagen. Wenn das Heumarkt-Projekt in der bestehenden Form umgesetzt würde, wäre dass seine klare Verletzung der Kriterien für den Welterbe-Status und natürlich müsste dieser dann in logischer Konsequenz aberkannt werden. Wenn sich alles in Wohlgefallen auflöst in dem Sinne, dass die Maßnahmen, die getroffen werden so weitreichend sind, dass ein glaubhaftes Bemühen zu erkennen ist, kann es sein, dass Wien von der roten Liste wegkommt. Wenn gar nichts kommt, wenn man sagt "tut uns leid, wir setzen das Projekt um", dann droht der Vollzug.

STANDARD: Ist Ihre Rolle mehr oder weniger die einer Mediatorin?

Haag: Ja, in dem Sinn, dass ich mit den verschiedenen Interessensparteien Gespräche führe, versuche zu verstehen, was deren Anliegen ist und letztlich in einer vermittelnden Rolle agiere. Aber weder obliegt mir eine Entscheidungs- noch eine Empfehlungskompetenz. Ich versuche, auch die Diskussion zu versachlichen, wegzukommen von Befindlichkeiten. Letzten Endes bin ich aber Präsidentin der österreichischen Unesco-Kommission und vertrete dadurch natürlich Unesco- Interessen.

STANDARD: Was ist in dieser Debatte bisher falsch gelaufen? Werden da die falschen Argumente ins Treffen geführt, reden die Akteure aneinander vorbei, weil ja immer wieder die "touristische Marke", die man nicht brauchen würde, erwähnt wird?

Haag: Was glaube ich grundsätzlich nicht gut gelaufen ist, ist die Abstimmung und die Diskussion und auch das fehlende Bewusstsein dafür, was es für Konseqzenzen hat, wenn ich gewisse Schritte setze. Also dass ich ein Projekt entwickle, von der Stadt genehmigen lasse, von dem die Stadt zugleich wissen müsste, dass damit gegen den Welterbe-Status verstoßen wird. Sowas sollte nicht passieren. Daher ist ja der Blick von der Unesco sehr in die Zukunft gerichtet. Dass man sagt, welches Instrumentarium braucht es eigentlich, um solche Dinge wie sie jetzt rund um das Heumarktprojekt passiert sind, für die Zukunft zu verhindern.

Zur Frage, was das Welterbe eigentlich für den Tourismus bedeutet: Wenn man den Tourismus vorschiebt, oder sagt, für den Tourismus ist das gut oder schlecht oder unerheblich, dann greift das einfach viel zu kurz. Welterbe ist ein Schutzinstrument, aber kein Instrument der Stadtplanung. Es geht ja hier auch nicht primär um ein touristisches Gütesiegel, sondern es geht um den Erhalt einer Welterbestätte mit einem besonderen Wert für die Bewohner und die Menschen, jetzt und in der Zukunft.

STANDARD: Als Kriterium für den Weltkulturerbestatus der Innenstadt wurde 2001 die "Geschlossenheit der historischen Bebauung" ins Treffen geführt. Was bedeutet das genau?

Haag: Der Welterbe-Status wurde für dieses gesamthafte Erscheinungsbild dreier historischer Epochen, von Mittelalter, Barock und Gründerzeit, angesucht. Das heißt nicht, dass darüber ein Glassturz gelegt wird und man sagt, daran darf überhaupt nichts verändert werden. Das Stichwort Verdichtung ermöglicht einiges an Veränderung, aber mit Maß und Ziel. Es besteht kein generelles Bauverbot oder Veränderungsverbot, aber es gilt gewisse, ohnedies wenige Kriterien einzuhalten – und die lassen doch einiges an Handlungsspielraum.

Aus dem Verständnis heraus, dass etwas schutzwürdig ist, muss man sich daher fragen, was von dieser Substanz erhaltenswert ist, wie gehe ich mit etwaigen Veränderungen um. Bei der Geschlossenheit des Stadtbildes ist natürlich auch die Silhouette miteingeschlossen. Da sind wir dann beim berühmten "Canalettoblick", der in diesem Bild relativ authentisch, aber nicht hundertprozentig wiedergegeben ist. Alle wissen, dass da natürlich Bedeutungsverschiebungen, etwa im Maßstab, vorgenommen wurden. Aber grundsätzlich weiß man, was die Determinanten dieser Silhouetten sind. Und wenn sich da etwas entscheidend verändern soll – wie das durch den Turm im Heumarkt-Projekt passiert – dann weiß man: Das ist nicht kompatibel. (Interview: Anne Katrin Feßler, 3. 7. 2018)