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Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach nach der Einigung mit der CSU von einem "guten Kompromiss". Statt Abweisungen Asylsuchender an der Grenze zu Österreich sind Transitzentren geplant.

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Seehofer verkündete die Einigung als Erster und getrennt von Merkel.

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Berlin – "Herr Seehofer, bleiben Sie Innenminister?" Kaum hat CSU-Chef Horst Seehofer um 22 Uhr 10 am Montagabend die CDU-Zentrale in Berlin nach der Krisensitzung verlassen, da schallt ihm auch schon diese Frage entgegen. "Schön langsam", antwortet der Angesprochene, lächelt aber in einer Art und Weise, dass bereits alles klar ist. Er bleibt.

Wenige Sekunden später bestätigt Seehofer den Durchbruch im Asylstreit: "Wir haben eine klare Vereinbarung, wie wir die illegale Migration in der Zukunft an den Grenzen zwischen Deutschland und Österreich verhindern. "Und weiter: "Diese Vereinbarung erlaubt mir, dass ich das Amt des Innenministers weiter behalte." Seehofer wirkte zufrieden und entspannt, und er fügte noch hinzu: "Ich bin froh, dass diese Einigung gelungen ist. Es hat sich wieder einmal gezeigt, dass es sich lohnt, für eine Überzeugung zu kämpfen."

SWR-Journalist Claus Heinrich in der "ZiB" um 24 Uhr: "Seehofer zeigt sich als Dealmaker."
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Wenig später tritt schon Kanzlerin Angela Merkel vor die Kameras und Mikrofone, um den Kompromiss zu bestätigen: "Wir werden in Deutschland Transitzentren einführen." Vorgesehen ist deren Einrichtung in Bayern. In den Zentren sollen Flüchtlinge untergebracht werden, die schon woanders registriert sind – und zwar so lange, bis ihr Schnellverfahren abgeschlossen ist. Sie dürften dann das Gelände nicht verlassen. Ein solches Vorgehen gibt es seit 1993 an deutschen Flughäfen. Rechtsmittel sind möglich, allerdings ist das Verfahren dafür auch verkürzt.

Nach Angaben Seehofers sollen diese Zentren "so schnell wie möglich" umgesetzt werden. Das sagte der CSU-Chef Dienstag früh vor den Beratungen der Unionsfraktion in Berlin.

Seehofer will mit Salvini reden

Zudem erklärte Seehofer, er wolle möglichst heute noch mit dem italienischen Innenminister Matteo Salvini reden. Parallel würden Verhandlungen mit Spanien und Griechenland beginnen. Mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) telefonierte er nach eigenen Angaben bereits in der Früh.

Nach der Beilegung des Unionsstreits in Deutschland um die Asylpolitik in der Nacht kamen die Fraktionen von Union und SPD am Morgen getrennt zusammen. Der frühere SPD-Chef Martin Schulz kündigte an, seine Fraktion werde "zunächst prüfen, was es mit den Transitzentren auf sich hat".

Transitzentren waren schon 2015 im Gespräch

Derartige Transitzentren waren 2015 schon im Gespräch, allerdings lehnte die SPD sie damals kategorisch ab. Sie argumentierte, man könne Menschen nicht gegen ihren Willen in "Lagern" festhalten. Merkel sieht in diesen Transitzentren nun einen "guten Kompromiss" zwischen nationalen Maßnahmen und der partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit anderen Ländern. Dieser sei "nach hartem Ringen und schwierigen Tagen" gefunden worden.

Noch viele Fragen zum Asylkompromiss sieht der Koalitionspartner der Unionsparteien. SPD-Parteichefin Andrea Nahles äußerte sich nach einem nächtlichen Treffen der Koalitionsspitzen im Kanzleramt entsprechend zurückhaltend. "Wir haben das heute nur andiskutiert", sagte sie. Es gebe da noch "viele Fragen", so die Vorsitzende. Der Fraktion der Sozialdemokraten kommt wie die Fraktion der Unionsparteien am Dienstag zusammen, um über den Kompromiss beraten. Die Spitzen der Koalitionsparteien wollen dann ab 18 Uhr erneut im Kanzleramt darüber diskutieren, wie Nahles in der Nacht auf Dienstag mitteilte.

Nach dem Abgang von Seehofer und Merkel betonten dann die beiden Generalsekretäre – Annegret Kramp-Karrenbauer für die CDU, Markus Blume für die CSU – wortgleich, dass an der Grenze zu Österreich nun "ein neues Grenzregime" für bereits registrierte Flüchtlinge etabliert werden soll. Die Rückführung werde aber "nicht unabgestimmt, sondern auf der Grundlage von Verwaltungsabkommen" realisiert. Kramp-Karrenbauer: "Wenn diese nicht realisiert werden können, folgt die direkte Abweisung an den Grenzen." Doch dies werde "in Abstimmung mit Österreich" passieren und sei eine "hervorragende Lösung".

Noch in der Nacht begannen die Deutungen, wer denn nun das Gesicht besser gewahrt habe: Merkel oder Seehofer. Seehofer hat sich letztendlich mit sofortiger, strikter Zurückweisung an den Grenzen nicht durchsetzen können. Aber die Transitzentren, die an seine Ankerzentren erinnern (die es allerdings noch gar nicht gibt), sind schon lange Plan der CSU. Am Dienstag in der Früh telefonierte Seehofer schließlich mit Österreichs Kanzler Sebastian Kurz über die aktuelle Lage.

Seehofer hatte mit Rücktritt gedroht

Der Einigung war ein hektischer Tag nach einer dramatischen Nacht vorangegangen. In der Nacht von Sonntag auf Montag hatte Seehofer aus Frust über die Brüsseler Gipfelbeschlüsse zum Thema Asyl im CSU-Vorstand seinen Rücktritt als Innenminister und CSU-Chef angeboten. Etwas anderes als sofortige Zurückweisung bereits registrierter Flüchtlinge an der deutschen Grenze könne er nicht verantworten, erklärte er.

Zwar hatten ihn der bayerische Ministerpräsident Markus Söder und der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, Alexander Dobrindt, in den vergangenen Wochen immer wieder zu einer harten Linie gedrängt. Doch als Seehofer bereit war aufzugeben, wurde den beiden dann doch mulmig, und sie versuchten Seehofer noch einmal umzustimmen, was zunächst gelang.

Seehofer beschrieb seine Entscheidung so: "Ich habe ja gesagt, dass ich beide Ämter zur Verfügung stelle, dass ich das in den nächsten drei Tagen vollziehe." Doch dann erklärte er sich bereit, ein letztes, ein allerletztes Mal noch mit Merkel persönlich zu reden.

Bevor Merkel und Seehofer in Berlin zusammenkamen, war Seehofer gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" noch gegen Merkel vom Leder gezogen: "Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist." Er befinde sich in einer Situation, die für ihn "unvorstellbar" sei: "Die Person, der ich in den Sattel verholfen habe, wirft mich raus." Und dann einigten sie sich doch. (red, bau, 3.7.2018)