Los Lobos – die Wölfe. Trotz immenser Popularität (vornehmlich in den USA) immer noch eine Entdeckung.

Hollywood Records

Begonnen hat es mit einer Polka. Die hat mich voll erwischt. Das hatte man hierzulande so noch nicht gehört. Polka, das spielte die Trachtenkapelle zwischen zwei zünftigen Meinungsverschiedenheiten beim Feuerwehrfest im Tal des heiteren Inzests. Doch so wie Los Lobos den Song Anselma aus der Quetsche und dem Haudrauf holzten, war das eher Punk als alpine Lodendodelei.

1983 erschien die Mini-LP ... And A Time To Dance von Los Lobos auf Slash Records. Das machte sie zu Labelkollegen der Violent Femmes, wurde also blind gekauft. Los Lobos sahen eher uncool aus. Würfelförmige Mexikaner mit Ray-Ban-Brillen und karierten Polyesterhemden, Haarnetzen – und Ziehharmonika!

Anselma – der Beginn einer langen Liebesbeziehung.
AndyCapp96

Zur Uncoolness kam bald hinzu, dass sie mit La Bamba einen Welterfolg feierten – nachdem sie für die Verfilmung der Geschichte des Ritchie Valens dessen größten Hit gecovert hatten. Das hatte imagemäßig neben den Einstürzenden Neubauten, Swans oder Laibach einen harten Stand. Lässig war es trotzdem. Und das mit dem Punk bewahrheitete sich ebenfalls. In den frühen 1980ern spielten Los Lobos Gigs mit Bands wie Fear, X, den Blasters und anderen im Epizentrum des L.A.-Punk – sogar mit Black Flag.

Weltberühmt und unbekannt zugleich

Heute sind Los Lobos weltberühmt und gelten als Rootsrock-Band. Das sind sie, aber noch viel mehr: Tex-Mex, Rock 'n' Roll, Soul, Blues, Country, Folk ... in den 45 Jahren ihres Bestehens haben Rosas, Hidalgo, Pérez und Co so viele Haken geschlagen – und ich bin ihnen dackeltreu gefolgt. Enttäuscht wurde ich nie, wenngleich es ein paar Alben gibt, die bessere Fingerübungen sind. Nicht Colossal Head.

1996 erschienen: Colossal Head von Los Lobos.

Das ist eines ihrer Meisterwerke, wahrscheinlich ihr experimentierfreudigstes Album – und deshalb ein Unknown-Pleasure-Kandidat. Zwar gibt es im Nebenprojekt Latin Playboys noch Experimentelleres, aber nichts, was so lässige Resultate zeitigt.

Colossal Head erschien 1996. Im selben Jahr wurde Beck für Odelay abgefeiert, den Wölfen hingegen schlug aus ihrer Fanbase eher Unverständnis entgegen. Dabei ist Colossal Head ein mindestens ebenso fantasievolles Album.

Funky und träge

Während Beck in jugendlichem Überschwang eine Million Ideen auf Dreiminüter eindampfte, schlichen Los Lobos wie abgeklärte Luden durch ihren Hometurf in East L.A. Little Japan ist so ein kühler Schleicher, ein Sonnenbrillen-in-der-Nacht-Song. Curtis Mayfield grüßt. Er ist funky, träge und schlau wie ein alter Wolf.

Little Japan – abgebrüht wie ein alter Wolf.
Los Lobos - Topic

Ich habe mal César Rosas interviewt. Der sagte, bei Los Lobos ginge es immer um dasselbe: Rock 'n' Roll, Rhythm 'n' Blues, mexikanische Musik und ein bisschen Beatles. Nur jedes Mal in einer andere Mischung.

Auf die Beatles käme man nicht unbedingt, sieht man es als ihr Gespür für Melodien, wird es aber verständlich. Das sei einfach die Musik ihrer Jugend gewesen, sagte Rosas. Colossal Head soll zudem unter dem Einfluss von Tricky und Portishead entstanden sein – im Hang zu seinen verschleppten Rhythmen lässt sich das hören.

Im Schatten der Hitze

Colossal Head besitzt eine Patina. Ein matter Glanz, der sich erst nach ein paar Mal Drüberwischen als Perle zu erkennen gibt. Satte Bläser, Samples, Streicher aus der Dose gibt es im Titelsong, Everbody Loves A Train klingt nach einem basslastigen Hinterhof-Stomper. Ein Lied, geboren im Schatten einer Hitze, die über dem ganzen Album liegt. Träge Eleganz. Zu viele Burritos zur Jause, aber trotzdem cool. Und immer wieder pumpt Steve Berlin Luft durch seine tiefen Hörner.

Jeder mag einen Zug – stimmt doch.
CanadianMaster1

Produziert haben Colossal Head die Lobos mithilfe von Mitchell Froom und Tchad Blake. Beide sind für atmosphärische Arbeiten bekannt. Los Lobos mussten eigentlich nur dem hispanischen Klischee entsprechen und lässig sein. Mission erfüllt: Life Is Good.

Life Is Good – auch wenn die Polizeisirenen im Hintergrund jaulen.
Seemore Butts

Ein paar Mal platzt ihnen der (dicke) Kragen. Da giftet die Gitarre etwas expressiv wie im Song Mas Y Mas. Der ist gut, die besseren hier sind aber die, die in den Schattierungen des Midtempos daherkommen. Diese Lieder haben Soul. Sie verströmen die Melancholie der mexikanischen Kultur ebenso wie sie den Schnapps intus haben, mit dem halbherzig dagegengehalten wird. Denn dass das Corazón letztlich obsiegt, lässt sich in jedem einzelnen Song nachhören. (Karl Fluch, 4.7.2018)