Sitzt man in der Eisenbahn vom Flughafen Kopenhagen nach Älmhult in Südschweden, könnte man an Teelichter, Servietten oder Billy-Regale denken. Während der Fahrt in die Konzernzentrale von Ikea tauchen in Gedanken jedoch lieber Astrid Lindgrens Michel aus Lönneberga und die schrullige Krösa-Maja auf.

Der Zug, der wie eine Konservendose aussieht, rattert durch dichte Nadelwälder, die mit Gruppen von Birken gespickt sind. Er schiebt sich vorbei an königsblauen Seen, in deren Oberfläche der Wind kleine Rauten zeichnet, ehe ein einsam stehendes Holzhaus im typischen Falunrot am Fenster auftaucht. Wer es immer schon wissen wollte: Der Name der Farbe bezieht sich auf die Bergstadt Falun und die dortige seit 1992 geschlossenen Kupfermine "Stora Kopparbergs gruva". Aber das ist eine andere Geschichte.

Stoppt der Zug in Älmhult, wo der im Jänner verstorbene Ikea-Gründer Ingvar Kamprad im Jahr 1953 seinen ersten Showroom aufsperrte, spielt's die Klischeeleier weiter. Der Hauptplatz des 17.000-Seelen-Städtchens ist Schweden pur. Backsteinhäuser stehen in Reih und Glied, eine Nationalflagge flattert im Morgenwind, daneben plätschert ein Brunnen vor sich hin. Gegenüber des Platzes, gleich hinter den Zuggeleisen, ist Schluss mit Kleinstadtflair.

Ingvar Kamprad und das Museum

Hier liegt das Reich von Ikea, das man über eine Brücke erreicht, die über die Eisenbahnlinie führt. Hier herrscht Ikea-Blau statt Falunrot. Die Anlage gleicht einem riesigen Campus, 4000 Menschen sind hier beschäftigt, und diverse Teile des Unternehmens haben an diesem Ort ihren Sitz, von der Produktentwicklung über das Kommunikationszentrum bis hin zum Testlabor. Dort boxen Roboter in Sofas und Sessel, während einen Stock höher tausende Glühbirnen um die Wette leuchten.

Im Ikea-Testlab boxen Roboter in Sessel und prüfen viele andere Produkte auf ihre Belastbarkeit.
Foto: Ikea

Die erste Station auf dem Campus ist jedoch das Ikea-Museum, das hier auf 6700 Quadratmetern und vier Stockwerken Platz findet. Schelmisch grinst Ingvar Kamprad von einer Wand beim Eingang. Rasch entpuppt sich das Museum als Weihestätte für Ikea-Fans, aber auch als lohnenswerter Ort für solche, die es nicht so mit dem Elch haben.

Vor allem im Ikea-Museum spukt der Geist des Firmengründers Ingvar Kamprad ganz ordentlich. Er starb im Jänner 2018.
Foto: Ikea

Fein säuberlich und kulturhistorisch gründlich aufbereitet lernt man hier Ikea von der Gründung im Jahr 1943 bis ins Heute kennen. Alles wird thematisiert, was Ikea ausmacht, man sieht Zimmereinrichtungen aus vielen Jahrzehnten, man widmet sich dem Inbusschlüssel ebenso wie diversen Materialien, der schwedischen Seele, Verpackungen, natürlich dem Katalog und der Ikea-Tasche sowieso.

Sogar zwei Büros des Firmengründers sind aufgebaut. Überhaupt scheint der Ikea-Vater hier an jeder Ecke zu spuken. Sichtbar wird er auf Filmen und Fotos: Kamprad mit seinen Söhnen, beim Filetieren eines Fisches, beim Heuwenden, mit Königin Silvia usw. Irgendwie wirkt der Mann, der als Geizhals mit Nazi-Vergangenheit galt, sympathisch, und es vergeht ein ganzes Weilchen, während man im Angesicht seines Schreibtischs in Gedanken über den Ikea-Mythos versinkt.

Allein 2017 besuchten 817 Millionen Menschen eines der 355 Einrichtungshäuser. Hier ist das Museum in Älmhult zu sehen.
Foto: Ikea

Man kann Ikea-Fan sein oder das absolute Gegenteil. Es ändert nichts an der Tatsache, dass Kamprad mit seinen Ideen wie kein anderer Einfluss auf das Wohnen und das Designbewusstsein nicht nur der westlichen Welt ausübte. Allein 2017 besuchten 817 Millionen Menschen eines der 355 Einrichtungshäuser.

Im Inneren des Museums lässt sich der Geschichte des Unternehmens tief auf den Grund gehen.
Foto: Ikea

2,1 Milliarden Menschen surften im gleichen Jahr auf der Website auf und ab. In seiner Biografie, die im Shop des Museums angeboten wird, steht zu lesen: "Was mich auf Trab hält, ist das Gefühl, im weiteren Sinne an einem gigantischen Demokratisierungsprojekt teilzunehmen, das jedoch völlig anderer Gestalt ist als die üblichen, die man kennt. Deshalb bin ich so enttäuscht, wenn wir danebenliegen, mit falschen Produkten. Ich denke dann, es sei mein Fehler."

Neue Kooperationen

Kaum könnte man ein besseres Zitat für die Einstimmung zur Präsentation der neuen Ikea-Kooperationen finden, die zwei Gebäude weiter im Campus mit dem Namen "Ikea of Sweden" über die Bühne geht. 400 Journalisten, Blogger und Influencer hat der Konzern im Juni zu seinen sogenannten Democratic Design Days geladen.

So schauen die Zukunftsmusik und die neuen Kooperationen bei Ikea aus, die großteils 2019 in die Möbelhäuser kommen. Das modulare Sound- und Licht-System "Frekvens".
Foto: Ikea

Wie eine Ameisenstraße schieben sich die Gäste aus aller Welt zu einem Riesenquader unweit des Ikea-Hotels, das von außen wie ein renovierter Plattenbau wirkt. Hier zeigt Ikea, wie der Konzern in Richtung Zukunft steuert. Gleich vorweggesagt: Regal Billy und Sofa Klippan spielen dabei nicht einmal die zweite Geige. Hier wurde für eine Journalistenhorde zusammengetragen, was in den nächsten ein, zwei Jahren in die Wohnzimmer möglichst vieler, vor allem junger Menschen einziehen soll.

Nachdem die Meute ihren Smoothie geschlürft hat und den Bässen vom DJ das Wummern abgedreht wurde (hallo, es ist 9 Uhr morgens!!!), tauchen auf der Bühne Designer und Künstler auf und erklären, was sie für Ikea ausbaldowert haben.

Frühstück gab es für gut 400 Journalisten und Blogger, die im Juni zu den "Democratic Design Days" aus aller Welt nach Schweden anreisten.
Foto: Michael Hausenblas

Da gibt's eine afrikanische Kollektion, eine ziemlich ausgeflippte Teppichkollektion, eine Social-Entrepreneur-Kollektion, eine Zusammenarbeit mit "Teenage Engineering", die unter anderem ein Lautsprecherding präsentieren, das an die gute alte Lichtorgel erinnert. Gezeigt wird auch fesch Ausgeflipptes, zum Beispiel ein Übertopf in Totenkopfform samt Krone. Noch mehr?

Bringt hoffentlich keine bösen Vibes fürs Grünzeug: Übertopf aus der neuen Kollektion "Föremal". Entworfen hat sie der Künstler Per B. Sundberg.
Foto: Ikea

Da wären die kleinen schwarzen Pudel, die als Kerzenhalter dienen, oder barbusige Galionsfiguren als Kleiderhaken, erdacht vom Künstler Per B. Sundberg. An die japanische Handwerkskunst des Shibori-Färbens erinnert die Kollektion "Tänkvärd", bei der Baumwolle, Leinen, Seegras, Rattan und Jute zum Einsatz kommen, und für besonders viel "Oho" und "Aha" in den Influencer-Trauben sorgt die Zusammenarbeit, die man mit Virgil Abloh einging.

Der darf sich immerhin Chefdesigner der Männermode-Kollektion von Louis Vuitton nennen. Von ihm werden Prototypen der künstlerisch angehauchten Kollektion "Markerad" gezeigt. Zu den Stücken zählt neben Taschen und Möbeln ein Perserteppich, auf dem in großen Versalien "Keep off" zu lesen ist.

Auch Abloh impft seinen Objekten und den Journalisten kleine Geschichten ein, die im Alltag des Kunden wieder auftauchen sollen. "Storytelling" nennt man das im Marketing-Sprech. Wer diese Geschichten um sich haben will, muss sich allerdings noch ein wenig gedulden. Die meisten der vorgestellten Objekte werden 2019 bei Ikea zu finden sein.

Ein Teppichentwurf von Stardesigner Virgil Abloh.
Foto: Ikea

Während schwedische Hünen Tee ausschenken und die Bässe wieder wummern dürfen, wird klar: Ikea setzt so ziemlich auf alles, was den lifestyligen Zeitgeist beschäftigt: Millenials, Mode, Kunst, Party, Ethno, Nachhaltigkeit, Wohnen auf kleinem Raum, Instagram etc. Das hier gezeigte hat mit reduziertem, solidem skandinavischem Design so viel zu tun wie eine Sojasprosse mit einem Fleischbällchen.

Die Zukunft ist cool und bunt. Hygge geht anders. Da wundert es auch nicht, dass die Moderatorin des Spektakels den afrikanischen Strickdesigner Laduma Ngxokolo fragt, welche Playlist er gerade hört. Wer ein Influencer ist, notiert sich diese.

Zufrieden macht sich die Schar schließlich vom Designacker, noch ahnt keiner, dass das, was hier präsentiert wurde, lediglich ein AmuseGueule der "Democratic Design Days" war, denn noch am selben Abend fährt Ikea seine großen Geschütze auf, auch wenn diese bezüglich konkreter Modelle und Erscheinungsdaten großteils in noch weiterer Ferne liegen als das Vormittagsprogramm.

Zukunftsmusik

Als Ort für die Überraschungsparty hat man sich für eine große Fabrikshalle auf dem Gelände unweit des 8000 Quadratmeter großen Fotostudios entschieden, in dem der Ikea-Katalog fotografiert wird. Wo später Drinks gereicht werden und Rapper ihre Show abziehen, gibt es den Auftritt für gleich mehrere Größen, die sich mit Ikea zusammengetan haben.

Dazu zählt zum Beispiel der international renommierte Designer Stefan Diez, der ab kommendem Herbst Design an der Wiener Angewandten unterrichten und sich mit Ikea Gedanken zur Arbeitswelt der Zukunft machen wird. Nach ihm betritt kein Geringerer als der Künstler Ólafur Elíasson die Bühne, der sich an einem Projekt in Sachen Nachhaltigkeit und Solarenergie beteiligt.

Sessel aus der Kollektion "Överallt"
Foto: Ikea

Lego wird ebenso Teil der Ikea-Zukunft, indem man sich gemeinsam mit der Bedeutung des "Spielens" auseinandersetzt, wie Adidas, ebenfalls ein Global Player, der mit dem Möbelhaus an Konzepten arbeitet, wie man sich statt im Fitnesscenter in den eigenen vier Wänden fit trimmen kann.

Doch damit nicht genug, auch am Hype der weltweit geschätzten zwei Milliarden Gamer will das Möbelhaus mitnaschen. Gemeinsam mit der Firma Unyq entwickelt man ein Sitzpolster, das gegen Rückenschmerzen beim Dauergamen helfen soll. Wer so ein Kissen haben will, wird in einer Ikea-Filiale gescannt, mit den ermittelten Daten wird sodann ein 3D-Drucker gefüttert. Dieser soll die Sitzauflage drucken und so zu einem sehr individuellen Posten im gut 10.000 Objekte umfassenden Ikea-Sortiment werden.

Leuchte aus der Familie "Tänkvärd"
Foto: Ikea

Ikea setzt also auf eine ganze Menge neuer Pferde, ein jedes davon macht theoretisch gute Figur, auch wenn die Rösser noch in der Startbox stehen. Keine Sorge, für Teelichter, Couchtische und Duschvorhänge bleibt noch genug Platz.

Die Zukunft, so viel wird bei diesem Ausflug nach Älmhult klar, will Ikea auch nach Kamprad nicht dem Zufall überlassen. Ob diesem die neuen Stücke gefallen hätten? Marcus Engman, Oberdesignchef bei Ikea, beantwortet diese Frage, die man ihm aus dem Gedränge zwischen japanischen und spanischen Kollegen zuruft, folgendermaßen: "Ich bin mir da nicht so sicher. Bestimmt nicht alles!" Enttäuschungen, vor denen sich Kamprad im Falle neuer Produkte so fürchtete, bleiben dem verstorbenen Firmengründer jedenfalls erspart. Erfolge allerdings auch. (Michael Hausenblas, RONDO, 9.7.2018)