Was wäre, wenn das abgedrehte Internet dereinst wieder sexy wäre? Josefine Rieks beantwortet das in ihrem Roman "Serverland".

Foto: Tim Bruening

Was die Zukunft bringt, weiß niemand. Wer den technikfreundlichen Pfad weiterdenkt und mit den Großmachtansätzen kombiniert, die Silicon-Valley-Milliardäre wie Elon Musk oder Peter Thiel gegenwärtig zeigen, landet etwa bei der Netflix-Serie Altered Carbon. Über Urzeitthemen wie das Internet macht sich darin niemand mehr Gedanken. Frei nach der transhumanistischen Philosophie Musks und Thiels wird in der Serie eine Welt gezeigt, in der man nichts weniger als den Tod überlistet.

Das Bewusstsein der Menschen wird nach deren physischem Ende einfach auf neue Körper übertragen. Hoch oben in den Wolken genießt ein Geldadel alle Privilegien, das Fußvolk unten hat mit Armut und einem Polizeiregime zu kämpfen.

Für die deutsche Autorin Josefine Rieks wäre es leicht gewesen, eine jener gängigen Dystopien zu entwerfen, die mit Schaudern einen totalitären Sieg des Technokapitalismus prophezeien. Die 1988 in Höxter Geborene malt sich die Sache allerdings anders aus: Was, wenn der Widerstand gegen den technologischen Wandel derart stark wird, dass in einem Referendum über die Abschaffung des Internets entschieden würde?

Vorinternetzeit

Genau das ist in Rieks Debütroman Serverland (Hanser) geschehen. Es liegt aber Jahrzehnte zurück. Und so ist die Welt, in die die Autorin ihren Helden Reiner schickt, eine, die sich mit der Vorinternetzeit längst wieder ganz gut arrangiert hat. Einzig verschrobene Nerds wie Reiner zeigen Interesse an den grauen Mythen des Digitalzeitalters. Sie sammeln Macbooks, Computerspiele, Festplatten – frühere Statussymbole, die heute als billiger Elektroschrott verscherbelt werden.

Warum es zu jenem radikalen "Shutdown" gekommen ist, darüber lässt die Autorin ihre Leser im Dunkeln. Erzählt wird Reiners Suche nach Gleichgesinnten, die er über verschlungene Pfade auf einer stillgelegten Serverfarm in Holland findet. Dort erleben die partywütigen Twens eine Offenbarung: Sie entdecken Youtube – den umfangreichsten Gedächtnisspeicher der digitalen Ära.

Mit der Videoplattform entwickeln die aus allen Erdteilen stammenden Jugendlichen ein politisches Bewusstsein. Mehr noch. Sie schaffen eine Bewegung, mit dem Ziel, der Welt das Internet zurückzubringen. Als jedoch neue Leute hinzustoßen, die die hehren Ziele der Bewegung auf ein hedonistisches "Prost auf Google" reduzieren, beginnt Reiner zu zweifeln.

Enttäuschungspotenziale

Stellenweise verliert sich die Erzählung in Belanglosigkeiten, die der etwas bemühten Popsprache geschuldet sind. Die inhaltliche Leistung schmälert das nicht, legt Josefine Rieks doch überzeugend die Enttäuschungspotenziale sozialer Bewegungen offen. Ihr gelingt es, die analogen Sehnsüchte ihrer Generation auf digitale Verlustanzeigen in einer unwahrscheinlichen Zukunft zu projizieren. Damit sagt sie mehr über das Heute aus als über ein Morgen. Und sie bestätigt eine Weisheit Ernest Hemingways: "Das Merkwürdige an der Zukunft ist die Vorstellung, dass man unsere Zeit einmal die gute alte Zeit nennen wird."(Stefan Weiss, 4.7.2018)