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Die derzeitige Diskussion in Deutschland zeige, wie wichtig eine bessere Absicherung der EU-Grenzen sei, sagte Kanzler Kurz bei seiner Rede vor dem EU-Parlament in Straßburg.

Foto: Reuters / Vincent Kessler

Vom Rednerpult aus gesehen macht das Plenum des EU-Parlaments in Straßburg gewaltig Eindruck. In dem in kühlem Weiß-Blau gehaltenen Saal gibt es – vom Präsidium abgesehen – insgesamt 863 Sitzplätze. Neben den insgesamt 751 EU-Abgeordneten müssen auch Vertreter der Kommission und des EU-Ratsvorsitzes untergebracht werden.

Zuletzt war "die Bürgerkammer", wie der ÖVP-Abgeordnete Othmar Karas in der Debatte zum Auftakt des österreichischen EU-Vorsitzes das Parlament nannte, im April brechend voll. In einer leidenschaftlichen Redeschlacht stellte Frankreichs mächtiger Präsident Emmanuel Macron seine persönlichen Pläne für Europa vor. Davon konnte am Dienstag keine Rede sein, als Bundeskanzler Sebastian Kurz sich vom Platz des Ratspräsidenten erhob, um das Programm seiner Regierung für die EU in den nächsten sechs Monate vorzutragen. Keine 50 EU-Mandatare hatten sich ins Plenum verirrt, als es mit Verspätung losging. Abgeordnete der Linksfraktion hatten die Saaltechnik aus Solidarität mit streikenden Übersetzern blockiert.

Jean-Claude Juncker beschwerte sich verärgert darüber, dass ausgerechnet Abgeordnete den Vertretern kleiner Ländern den Respekt versagten: "Wären Macron oder Kanzlerin Merkel hier, sähe es anders aus." Dem "lieben Sebastian" wünsche er nur das Beste.

Kurz ließ sich vom mäßigen Interesse der Mandatare nicht irritieren. Vorsitzpräsentationen sind großteils Ritual. Der Vorsitzende des Rats darf maximal 20 Minuten lang sprechen. Die Hauptredner der acht Fraktionen haben ein paar Minuten. Einzelne Abgeordnete kommen oft nur kurz in den Saal, um ihre Minutenbeiträge vorzutragen. Der Kanzler trug nach einer kurzen Begrüßung in mehreren Sprachen inhaltlich Punkt für Punkt die drei Prioritäten vor, die die Regierung in Kooperation mit der EU-Kommission vereinbart und die er selbst bereits mehrfach öffentlich gemacht hatte.

Ganz gemäß dem Ratsmotto von "Mehr Sicherheit in Europa" werde es vor allem darum gehen, Reformmaßnahmen zum Erhalt des "Wohlstandsmodells" in Europa zu setzen. Im Bereich Migration und Asyl und bei der Verstärkung der EU-Außengrenzen wolle er konkrete Beschlüsse erreichen. Er freue sich über die "Trendwende", die der letzte EU-Gipfel im Kampf gegen illegale Migration gebracht habe. Das gelte es nun umzusetzen, und er wolle "Brückenbauer" sein.

Nur an wenigen Stellen ließ Kurz seine persönlichen Überzeugungen durchklingen. Er betonte, dass für ihn als 31-Jährigen das gemeinsame Europa "eine Selbstverständlichkeit" sei, mit der er aufgewachsen sei. Er habe aber auch gelernt, dass Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Freiheit verteidigt werden müssten, da dürfe es "keinerlei Abstriche" geben. Europäische Werte seien "ohne Wenn und Aber einzuhalten".

In der Debatte wurde Kurz von vielen Abgeordneten dafür kritisiert, dass er das Thema Migration ständig mit Angst und mit dem Thema Sicherheit verknüpfe und damit Rechtspopulisten in die Hände spiele. Die Regierungsbeteiligung der FPÖ spielte praktisch keine Rolle.

Am Ende legte Kurz ein Versprechen ab: "Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, damit es wieder ein Europa ohne Grenzen gibt." Er könne nicht sagen, wie rasch und ob es "vorher nationale Maßnahmen" geben werde. Aber das Ziel sei klar: offen im Inneren, mehr Kontrolle nach außen. Es klang nach Langzeitprogramm. (Thomas Mayer, 4.7.2018)