Moskau – Spielerische Not gegen Elend, dafür schauspielerische Einlagen und Provokationen am laufenden Band, ein Schiedsrichter, der der Sache kaum Herr wurde – das letzte Achtelfinale der Endrunde in Russland enttäuschte am Dienstagabend über 92 Minuten auf der ganzen Linie. Dann glich aber Kolumbien infolge seines allerersten Eckballs die englische Führung aus, rettete sich in die Verlängerung. Barcelonas Verteidiger Yerry Mina (23), zuvor bei der WM schon zweimal erfolgreich, traf nach Eckball von Juan Cuadrado per Kopf (93.), prolongierte also die Partie im Moskauer Spartak-Stadion.

Englische Freude in Wien.
DER STANDARD

Ohne James

Die hatte schon unter keinem guten Stern begonnen, denn in James Rodríguez fehlte der Schützenkönig der WM 2014 wegen einer Wadenblessur. Ohne den Bayern-Star ging bei den Südamerikanern wenig bis nichts. Englands junges Team, in der Gruppenphase auch keine spielerische Offenbarung, mühte sich zumindest um Feldüberlegenheit.

Schon nach einer halben Stunde glitt die Begegnung in ein unansehnliches Hickhack ab, Schiedsrichter Mark Geiger aus den USA war fleißig, aber nicht in der Lage, die Kontrahenten Mores zu lehren. Die vielen gelben Karten nützten gar nichts. Rot hatte Geiger offensichtlich nicht eingesteckt. Viele kleine Scharmützel erstickten jeden Ansatz zu flüssigerem Spiel im Keim. Der erste Torschuss ereignete sich in der Nachspielzeit der ersten Hälfte, Kolumbien gab ihn übrigens ab.

Zum Abgewöhnen

Nach Seitenwechsel wurde aus einem schlechten Spiel eine Partie zum Abgewöhnen. Immerhin fiel aber ein Tor – für dieses Turnier schon typisch aus einem Elfmeter. Carlos Sanchez hatte Englands Kapitän Harry Kane im Strafraum niedergerungen, Referee Geiger brauchte keinen Videobeweis, um auf Strafstoß zu entscheiden. Sanchez hatte schon im ersten Spiel der Cafeteros einen Elfer verschuldet, war da nach drei Minuten wegen eines Handspiels ausgeschlossen worden. Aus der Heimat erhielt er dafür Morddrohungen.

Kane legt vor.
Foto: APA/AFP/ALEXANDER NEMENOV

Kane ließ sich die Chance jedenfalls nicht entgehen, der Torjäger von Tottenham netzte zum sechsten Mal bei dieser WM, zum dritten Mal vom Punkt (57.). Angesichts der spielerischen Impotenz der Kolumbianer schien damit die Messe gelesen. Der eingewechselte Mateus Uribe sorgte dann schon in der Nachspielzeit mit einem mächtigen Fernschuss, den Englands Goalie Jordan Pickford prächtig parierte, für erhöhten Blutdruck. Nach dem anschließenden Eckball wurden die Karten völlig neu gemischt.

Mina rettet Kolumbien in die Verlängerung.
Foto: APA/AFP/YURI CORTEZ

Denn die Engländer taumelten sichtlich geschockt in die fällige Verlängerung. Radamel Falcao vergab per Kopf Kolumbiens zweite echte Chance im Spiel (104.). Da und dort stellten sich sogar Ideen im kolumbianischen Spiel ein. Erst als das Elfmeterschießen immer näher rückte, die englische Angstdisziplin, rissen sich die Three Lions wieder zusammen. Jamie Vardy, Danny Rose und Eric Dier, allesamt von Coach Gareth Southgate eingewechselt, vergaben in der zweiten Hälfte der Verlängerung Chancen auf die Entscheidung.

Pickford hält, Dier trifft

Southgate, der im Semifinale der Heim-EM 1996 selbst zur englischen Horrorserie an verlorenen Elfmeterschießen bei Großereignissen (fünf aus sechs) beigetragen hatte, war auf diese Möglichkeit vorbereitet. Der Ablauf war intensiv geprobt worden, um das Glücksspiel berechenbar zu machen – mit Erfolg.

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Englands Keeper Jordan Pickford hält den Elfmeter des Kolumbianers Carlos Bacca.
Foto: ap/calanni

Falcao, Cuadrado und Luis Muriel beziehungsweise Kane und Marcus Rashford verwerteten ihre Versuche sicher. Dann scheiterte Jordan Henderson an Kolumbiens David Ospina und Uribe im Gegenzug an der Latte. Kieran Trippier setzte Carlos Bacca unter Druck, der prompt an Pickford scheiterte. Eric Dier von Tottenham setzte schließlich den Schlusspunkt. (Sigi Lützow, 3.7.2018)

WM in Russland, Achtelfinale:

Kolumbien – England 1:1 n. V. (0:0, 1:1), 3:4 i. E. Moskau, Spartak-Stadion, SR Geiger (USA).

Tore: 0:1 (57.) Kane (Foulelfmeter), 1:1 (93.) Mina

Elfmeterschießen:

1:0 – Falcao trifft

1:1 – Kane trifft

2:1 – Cuadrado trifft

2:2 – Rashford trifft

3:2 – Muriel trifft

3:2 – Henderson scheitert an Ospina

3:2 – Uribe schießt an die Latte

3:3 – Trippier trifft

3:3 – Bacca scheitert an Pickford

3:4 – Dier trifft

Kolumbien: Ospina – Arias (116. Zapata), Mina, D. Sanchez, Mojica – Barrios, C. Sanchez (79. Uribe), Lerma (61. Bacca) – Cuadrado, Quintero (88. Muriel) – Falcao

England: Pickford – Walker (113. Rashford), Stones, Maguire – Henderson – Trippier, Alli (81. Dier), Lingard, Young (102. Rose) – Sterling (88. Vardy), Kane

Gelbe Karten: Barrios, Arias, Sanchez, Falcao, Bacca, Cuadrado bzw. Henderson, Lingard