Die Präsidentin des Obersten Gerichtshofes, Małgorzata Gersdorf, weigert sich, ihren erzwungenen Ruhestand anzutreten.

Foto: AFP PHOTO / Janek SKARZYNSKI

Proteste gegen die Absetzung der Richter am Dienstagabend in Warschau.

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Warschau/Brüssel – Der Streit zwischen den Obersten Richtern und der nationalkonservativen Regierung in Polen über die umstrittene Justizreform spitzt sich zu: Die Präsidentin des Obersten Gerichtshofes, Małgorzata Gersdorf, verweigert sich gemeinsam mit weiteren Richtern dem von der Regierungsmehrheit beschlossenen Zwangsruhestand für Richter ab Mittwoch.

Am Dienstagabend demonstrierten vor dem Obersten Gericht in Warschau rund 5.000 Menschen für Gersdorf und andere betroffene Richter. Am Mittwochmorgen wollen die zwangspensionierten Richter aus Protest gemeinsam in ihren Roben das Gerichtsgebäude betreten.

Nach einem Treffen von Gersdorf und dem konservativen Staatschef Andrzej Duda schickte der Präsident die Richterin trotz massiver Proteste in den Zwangsruhestand, wie Dudas Büro mitteilte. Gersdorf blieb dennoch unnachgiebig: "An meinem Status als Präsidentin des Obersten Gerichtshofs ändert sich durch das Gespräch mit dem Staatspräsidenten nichts", sagte Gersdorf daraufhin vor Abgeordneten im Parlament. Schließlich laufe ihr Mandat laut Verfassung bis zum Jahr 2020.

"Ich werde morgen zur Arbeit gehen", bekräftigte sie. Danach wolle sie jedoch in Urlaub fahren – für die Zeit ihrer Abwesenheit habe sie einen Richter bestimmt, der sie vertreten soll. Denselben Richter erklärte auch Duda nach Angaben seines Büros zum Interimspräsidenten des Obersten Gerichtshofes bis zur offiziellen Bestimmung von Gersdorfs Nachfolger.

Gersdorf spricht von "Säuberung"

Vor Studenten an der Universität Warschau hatte Gersdorf zuvor von einer "Säuberung" am Obersten Gericht durch die nationalkonservative Regierung in Warschau gesprochen. Das umstrittene Gesetz schickt 27 der 73 Richter am Obersten Gerichtshof ab Mittwoch in den Zwangsruhestand. Sie sind älter als 65 Jahre; bisher lag die Altersgrenze bei 70 Jahren. 16 von ihnen haben Präsident Duda aufgefordert, ihr Mandat zu verlängern. Er kann das Gesuch ohne Angabe von Gründen ablehnen. Das Präsidialbüro wies darauf hin, dass Gersdorf von diesem Recht gar nicht erst Gebrauch gemacht habe.

Neben Gersdorf haben weitere Richter bereits angekündigt, die Zwangspensionierung nicht zu akzeptieren und auf ihren Posten bleiben zu wollen. Der Chef der regierenden PiS-Partei, Jaroslaw Kaczyński, Polens starker Mann, warnte in der regierungsfreundlichen Wochenzeitung "Gazeta Polska", der Widerstand der Richter sei "zum desaströsen Scheitern verurteilt".

Reform trat um Mitternacht in Kraft

Die umstrittene Reform trat um Mitternacht in Kraft. Am Dienstagabend demonstrierten rund 5.000 Menschen vor dem Obersten Gericht in Warschau für die Richter. "Wir stehen hinter euch!", riefen die Demonstranten. Sie kündigten an, am Mittwochmorgen erneut auf die Straße zu gehen, wenn Gersdorf gemeinsam mit den anderen betroffenen Richtern zur Arbeit erscheinen will.

Das bereits vom Parlament verabschiedete und von Duda unterzeichnete Gesetz zählt zu den umstrittenen Justizreformen, wegen denen die EU-Kommission seit 2016 gegen die Regierung in Warschau vorgeht. Die EU-Kommission kritisiert, die Reformen würden die Unabhängigkeit der Justiz beschneiden und die Gewaltenteilung untergraben. Sie hatte am Montag ein neues Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet. Es gehe darum, die "Unabhängigkeit des Obersten Gerichts zu schützen", sagte Kommissionssprecher Margaritis Schinas.

EU leitete Verfahren 2016 ein

Anfang 2016 hatte Brüssel erstmals in der EU-Geschichte ein Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit eingeleitet, als Warschau die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts beschnitt. Im Dezember folgte dann ein Vertragsverletzungsverfahren wegen eines Gesetzes, das die Befugnisse des Justizministers bei der Besetzung von Richterposten ausweitet.

Das Vertragsverletzungsverfahren kann zumindest theoretisch bis zum Entzug von Stimmrechten auf EU-Ebene führen. Das Votum darüber muss allerdings einstimmig fallen. Das ebenfalls rechtskonservativ regierte Ungarn hat bereits angekündigt, Sanktionen gegen Warschau nicht mitzutragen. (red, APA, 4.7.2018)