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Horst Seehofer will Migranten in Transitlagern an der Grenze bis zu zwei Tage lang festhalten dürfen.

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SPD-Chefin Andrea Nahles steht vor schwierigen Entscheidungen. Stimmt sie der Einigung mit den Unionsparteien zu, stößt sie Positionen ihrer Partei um. Lehnt sie ab, drohen Neuwahlen und Verluste.

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Berlin/Wien –Deutschlands Innenminister Horst Seehofer hat am Mittwoch erstmals Details zu den von ihm geplanten Transitlagern in der Nähe der österreichischen Grenze genannt, auf deren Einrichtung er sich mit Kanzlerin Angela Merkel nach langem Streit verständigt hatte. Migranten sollen dort nach seiner Vorstellung bis zu maximal zwei Tagen festgehalten werden können, während kontrolliert wird, ob sie bereits in anderen EU-Ländern registriert sind. "Das ist ein Aufenthalt, der längstens 48 Stunden dauern kann nach unserem Grundgesetz", sagte Seehofer am Mittwoch dem Nachrichtensender N-TV.

Seehofer wies auch Vorwürfe zurück, es handle sich um etwas wie Internierungslager. "Es ist weder eine Haft, noch ist da von Stacheldraht oder Ähnlichem die Rede." Seehofer machte deutlich, dass er den Schwerpunkt der Maßnahmen an der deutsch-österreichischen Grenze sehe. Derzeit gebe es nur dort Grenzkontrollen, "und ich finde, wir sollten dieses Verfahren jetzt mal dort durchführen". Es sollten Erfahrungen gesammelt werden und dann geschaut werden, "wie es weitergeht".

Auch nach Angaben von Bundeskanzlerin Angela Merkel solle innerhalb von zwei Tagen entschieden werden, ob Flüchtlinge in andere EU-Staaten zurückgeschickt werden sollen. "Man muss mit 48 Stunden hinkommen, das sagt das Grundgesetz", sagte die CDU-Vorsitzende am Mittwoch in der Aufzeichnung der ARD-Sendung "Farbe bekennen". Wenn es nicht gelinge, innerhalb dieser Zeit zu entscheiden, müssten die Flüchtlinge in eine normale Aufnahmeeinrichtung verlegt werden, sagte Merkel.

Zudem soll es eigene Bereiche für Frauen und Kinder geben. Der Aufenthalt in den geplanten Transitzentren sei "sehr beschränkt", sagte Merkel.

Rote Linie

Die SPD hat dagegen als klare rote Linie für die Verhandlungen mit CDU und CSU gezogen, dass es kein Festhalten von Migranten geben dürfe. "Es wird mit uns keine geschlossenen Lager geben", sagte die Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles am Mittwoch nach einer Sondersitzung der SPD-Bundestagsabgeordneten in Berlin. "Auf dieser Basis werden wir am Donnerstagabend weiterverhandeln."

Deutschland will an der Grenze Flüchtlinge abweisen. Das passiert aber bereits, etwa wenn keine Reisedokumente vorhanden sind. Im ersten Halbjahr hat Deutschland rund 2.200 Personen zurückgewiesen.
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"Es darf keine nationalen Alleingänge geben, es muss rechtsstaatliche Verfahren zu jedem Zeitpunkt geben", betonte Nahles weiter. Der Fünfpunkteplan der Partei zur Migrationspolitik und der Koalitionsvertrag seien die Basis. Eine Einigung bei dem Koalitionstreffen am Donnerstag sei unklar.

Union und SPD hatten bereits am Dienstagabend über die geplanten Transitzentren beraten, auf die sich CDU und CSU nach dem erbitterten Machtkampf zwischen Seehofer (CSU) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geeinigt hatten.

Einigung möglich

Die SPD hatte sich in der Vergangenheit generell gegen Transitzonen für Flüchtlinge gewandt. In der Partei wird jetzt aber darauf verwiesen, dass es bei dem neuen Unionsvorschlag um eine begrenzte Zahl von Flüchtlingen geht. Deshalb wird eine Einigung für möglich gehalten. Ob diese schon bei den Beratungen der Koalition am Donnerstagabend zustande kommen wird, ist aber noch offen.

Nach Angaben des Innenministeriums wurden an den deutschen Grenzen zwischen Jänner und Mitte Juni dieses Jahres rund 18.000 bereits registrierte Flüchtlinge festgestellt.

Transitzentren an deutsch-österreichischer Grenze

Geplant sind sogenannte Transitzentren an drei Grenzübergängen an der deutsch-österreichischen Grenze. Von dort aus sollen bereits in anderen EU-Staaten registrierte Asylbewerber in diese zurückgeführt werden. Hierzu bedarf es aber zunächst auch einer neuen Übereinkunft mit Österreich. Völlig unklar ist, wie ohne Bewachung verhindert werden soll, dass die betreffenden Personen nicht weiterziehen. In der SPD hieß es, die Union argumentiere, die Lager seien ja zumindest nach Österreich hin offen, dorthin könne die Person immer zurückkehren. Die österreichische Bundesregierung steht den deutschen Plänen skeptisch gegenüber.

Am Donnerstag wird erneut ein Koalitionsausschuss mit den Spitzen von Union und SPD über die Details reden. CSU-Chef und Innenminister Seehofer hatte zunächst mit Rücktritt gedroht, wenn es nicht härtere Regeln an ausgewählten Grenzübergängen in Bayern gibt, schließlich willigte Kanzlerin Merkel in die auch rechtlich umstrittene Transitzentrenlösung ein.

Der frühere SPD-Chef Martin Schulz hält unterdessen die von der Union angestrebte Schaffung von Transitzentren für Flüchtlinge für übertrieben. Es gehe um "Peanuts-Zahlen von Flüchtlingen in einer Peanuts-Frage, die meiner Meinung nach relativ schnell zu klären ist", sagte er am Mittwoch in Berlin. Schulz sprach von einer "aufgeblasenen Debatte" der Union. "Ich glaube nicht, dass es Transitzentren geben wird", sagte er.

Österreich will nach dem deutschen Asylkompromiss keine Verträge zu seinen Lasten akzeptieren. Das hat Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Dienstag in einer Pressekonferenz klargestellt. Einen konkreten Plan, wie er mit den Vorhaben der deutschen Regierung umgehen wird, konnte er aber nicht präsentieren.
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Interne und externe Unklarheiten

Der Streit über die Flüchtlingspolitik hatte mehrere Wochen gedauert und am Ende die Unionsparteien beinahe entzweit. Seehofer wollte im Alleingang Asylwerber an der deutschen Grenze zurückweisen, wenn sie bereits in einem anderen EU-Land registriert sind. Er wollte so die Zuwanderung nach Deutschland begrenzen. Angela Merkel hingegen setzte auf eine europäische Lösung. Ein Kompromiss der Parteien sieht nun vor, an der deutsch-österreichischen Grenze in Bayern sogenannte Transitzentren einzurichten. Von dort sollen Asylwerber, für deren Verfahren andere EU-Staaten zuständig sind, zügig in diese zurückgebracht werden – wenn es denn entsprechende Abkommen gibt.

Die Umsetzung der Pläne hängt neben der Zustimmung des Koalitionspartners SPD also auch an der von anderen Ländern, etwa Österreich und Italien. Die Regierung in Wien hatte zuletzt Bedenken gegen die Vorhaben geäußert und auf Unklarheiten hingewiesen. Eine Frage ist, was mit Flüchtlingen geschehen soll, die in Staaten wie zum Beispiel Italien registriert sind und über Österreich nach Deutschland eingereist sind. Da Deutschland mit der Mehrheit der EU-Staaten – darunter Italien – bisher keine Vereinbarungen für beschleunigte Rückführungen hat, würden diese Menschen einfach nach Österreich geschickt werden.

Seehofer ante portas

Einem Vertrag mit Deutschland über die Rückübernahme von Flüchtlingen steht Österreich äußerst kritisch gegenüber. Am Donnerstag reist Seehofer zu Gesprächen in die österreichische Hauptstadt.

An dem Tag wird mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán zugleich einer der größten europäischen Kritiker der Flüchtlingspolitik Merkels bei der Kanzlerin in Berlin erwartet. In der "Bild"-Zeitung machte Orbán deutlich: "Die Reihenfolge kann nur sein: Verhandlungen zwischen Deutschland und Österreich, dann Verhandlungen zwischen Österreich und Ungarn. Und erst zum Schluss – wenn wirklich Klarheit über die deutsche Position herrscht – Verhandlungen zwischen Ungarn und Deutschland."

Kaum Verringerung von Zuzug erwartet

Einem Politbarometer extra des ZDF zufolge finden 59 Prozent der Deutschen die Pläne für die sogenannten Transitzentren gut und 35 Prozent schlecht. Demnach glauben allerdings auch nur 26 Prozent, dass durch diese Maßnahme wesentlich weniger Asylwerber nach Deutschland kommen werden, 68 Prozent bezweifeln das.

Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) mahnte die Unionsparteien nun zu Mäßigung. Die momentane Art zu streiten sei "kein Vorbild für die Jugend und verheerend in der Außenwirkung", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) sagte der "Rheinischen Post": "So einen Streit sollten wir uns in der Union nicht noch einmal leisten." Aus Sicht von CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer haben CDU und CSU "einiges aufzuarbeiten". "Ich hoffe, dass jeder seine Lehren zieht aus dem, was jetzt passiert ist", sagte sie der "Saarbrücker Zeitung". (APA, red, 4.7.2018)