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Will ihre zwangsweise Pensionierung als Chefin des Obersten polnischen Gerichts nicht akzeptieren: Małgorzata Gersdorf.

Foto: Reuters / Agencija Gazeta

Freie Gerichte! Freie Gerichte!", skandierten tausende Demonstranten am Mittwoch um acht Uhr früh vor dem Obersten Gericht in Warschau: "Setzt die Richter nicht ab!" und "Verfassung! Verfassung!" Viele kamen schon am Abend zuvor mit Kerzen und EU-Flaggen und appellierten an die EU-Kommission in Brüssel: "Lasst uns nicht im Stich!"

Als die Präsidentin des Obersten Gerichts, Malgorzata Gersdorf, erscheint, jubeln ihr die Menschen "Dziekujemy! Wir danken Ihnen!" zu. Denn Gersdorf kommt zur Arbeit. Dabei ist es der erste Tag ihrer Zwangspension, in die sie die regierende nationalpopulistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und der ihr nahestehende Präsident Andrzej Duda schicken wollen. Sie betritt ihren bisherigen Arbeitsort – und kommt gleich wieder aus dem Gerichtsgebäude, um eine Ansprache zu halten: "Ich mische mich nicht in die Politik ein", so die Rechtsprofessorin, "ich bin hier, um die Rechtsstaatlichkeit in Polen zu beschützen und die Grenze zwischen der Verfassung und dem Verstoß gegen die Verfassung aufzuzeigen".

Menschen könnten Fehler begehen, auch Politiker, sagt sie. Deshalb sei die Verfassung als Grundordnung der Demokratie so wichtig. Die Polen hätten der 1997 verabschiedeten Verfassung in einem Referendum zugestimmt. Regierende könnten natürlich Reformen des Gerichtswesens beschließen, dürften aber die Verfassung nicht verletzen. Das Grundgesetz regle in Artikel 183 klar, dass die Amtszeit der Präsidentin des Obersten Gerichts sechs Jahre beträgt, unabhängig vom Alter: "Ich fühle mich der polnischen Verfassung und ihren Werten verpflichtet", sagt Gersdorf. Sie werde ihr Amt bis zum Jahr 2020 ausüben.

Am Tag zuvor hatte sie dennoch den Richter Józef Iwulski zu ihrem Stellvertreter ernannt, der ihre Vertretung übernehmen solle. Gersdorf will einen längeren Urlaub antreten, auch um weiteren Konflikten mit der PiS aus dem Weg zu gehen. Präsident Duda ernannte denselben Richter zu ihrem Nachfolger, obwohl dieser älter ist und nicht um eine Verlängerung seiner Amtszeit nachgesucht hatte. Dies sieht das neue Pensionsgesetz für Höchstrichter vor, das Höchstalter wurde von 70 auf 65 Jahre herabgesetzt.

Harte Fragen in Straßburg

Damit will sich die Regierung rund 40 Prozent aller Richter am Obersten Gericht auf einen Schlag entledigen und loyale Richter berufen lassen – vom Landesjustizrat, den die Partei auch schon unter ihre Kontrolle gebracht hat.

Dass Duda sich bei der Ernennung Iwulskis selbst nicht an das neue Gesetz hält, bestätigt jene, die Sorge wegen drohender Willkür haben. Die Reform des polnischen Gerichtswesens begann mit dem Verfassungstribunal, dessen Richter ebenfalls entmachtet wurden. Sie ging über die ordentlichen Gerichte und den Landesjustizrat weiter, der Richter an allen Gerichten ernennt, und führte letztlich zum Obersten Gericht. Die von der EU-Kommission beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) beklagten Verletzungen der EU-Verträge waren auch zentraler Gegenstand in einer Plenardebatte im EU-Parlament in Straßburg, der sich der polnische Premier Mateusz Morawiecki stellte. Er wurde von den Hauptrednern der Fraktionen sehr hart für Verletzungen des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit attackiert.

Polen sei ein Land mit großer Tradition im Kampf für Freiheit und Demokratie durch die Solidarnosc von Lech Walesa 1980. Mit "ihrem Egoismus und Nationalismus wird die PiS den Menschen nicht gerecht", sagte der EVP-Fraktionschef Manfred Weber. "Kehren Sie um und in die Mitte Europas zurück", sonst müsse ein Artikel-7-Verfahren auf Stimmrechtsentzug folgen, so sein SP-Kollege Udo Bullmann.

Morawiecki beklagte, dass die EU "eine stolze Nation nicht versteht". Mit den neuen Gesetzen seien die Richter viel "freier und unabhängiger, nur ihrem Gewissen verpflichtet". Seiner Regierung gehe es darum, Richter aus der Zeit des Kommunismus zu ersetzen.(Gabriele Lesser aus Warschau, Thomas Mayer aus Straßburg, 4.7.2018)