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Staus sind ein großes Problem in Moskau.

Foto: REUTERS/Maxim Shemetov/File Photo

Als Letzter gab Dmitri Gudkow auf: "Ich habe gerade die Unterschriften von Abgeordneten in der Moskauer Wahlkommission abgegeben. 76 notariell beglaubigte Unterschriften aus 63 Stadtteilen. – Die reichen nicht", räumte der in die außerparlamentarische Opposition abgewanderte ehemalige Dumaabgeordnete ein.

Die Bürgermeisterwahl in Moskau findet Anfang September statt. Als Favorit gilt Amtsinhaber Sergej Sobjanin. Die übrigen Herausforderer bestehen aus Vertretern der handzahmen Duma-Fraktionen und einem Baulöwen mit dubiosen politischen Verbindungen. Die liberalen Kandidaten scheiterten bereits in der Vorauswahl.

Denn um offiziell als Kandidat zugelassen zu werden, brauchen Bewerber nicht nur die Unterstützung von Wählern, sondern auch von Beamten. "Munizipaler Filter" heißt das Instrument. Eingeführt wurde es vom Kreml 2012 – zusammen mit der Wiederkehr der direkten Gouverneurswahlen in der Mehrzahl der russischen Regionen.

Scharfe Proteste

Die Direktwahl der Gouverneure war eines der Wahlversprechen Wladimir Putins. Vorausgegangen waren scharfe Proteste der Opposition – ausgelöst durch mutmaßliche Wahlmanipulationen bei der Dumawahl Ende 2011. Zu jener Zeit schien eine Art Wechselstimmung in Russland zu herrschen und Putin, der vom Premiersamt wieder zurück auf den Präsidentenposten rochieren wollte, sah sich zu demokratischen Kompromissen gezwungen. Um das Risiko einer Direktwahl zu minimieren, ließen sich die Kreml-Politologen bei regionalen und lokalen Wahlen einen Filter einfallen.

In Moskau sieht dieser Folgendes vor: Mindestens 110 Unterschriften von Abgeordneten aus 110 verschiedenen Stadtteilen braucht ein Kandidat für die Zulassung als Kandidat bei der Moskauer Bürgermeisterwahl. Über diese Ressourcen verfügt allein die Kremlpartei Einiges Russland.

Daher war bereits im Vorfeld klar, dass ohne Zustimmung von Einiges Russland kein Gegner Sobjanins würde antreten können. Vor vier Jahren, als die Situation ähnlich war, Sobjanin aber demonstrieren wollte, dass er auch in demokratischen Wahlen gewinnen könne, winkte die Obrigkeit Alexej Nawalny durch. Der holte am Ende überraschend starke 27 Prozent. Mit 51 Prozent der Stimmen gelang Sobjanin der Wahlsieg in der ersten Runde nur knapp.

Politischer Trick

Daher ging die Stadtverwaltung diesmal auf Nummer sicher. Die Zulassung Gudkows oder des Nawalny-Vertrauten Ilja Jaschins zur Wahl sei heuer nicht geplant, berichtete die Tageszeitung "Wedomosti" unter Berufung auf anonyme Quellen in der Administration. Tatsächlich bekamen dann auch nur die "üblichen Verdächtigen" die Zulassung über den Munizipalfilter": Ilja Swiridow von der kleinen Kremlpartei Gerechtes Russland bekam 18 Unterschriften von Einiges Russland, der Kommunistenkandidat Wadim Kumin 15, Michail Degtjarew von der populistischen LDPR immerhin zehn. Alle drei dürfen sich nun als Herausforderer von Sobjanin bezeichnen.

Genauso wie Michail Balakin. Der 57-Jährige wurde als Bauunternehmer bis 2015 noch als Dollarmilliardär in der "Forbes"-Liste geführt, doch die Branche hat schwere Jahre hinter sich. 2016 wurde seine Baufirma Su-155 für bankrott erklärt und hinterließ Millionen an Schulden und tausende betrogene Wohnungskäufer. Trotzdem war es für Balakin offenbar kein Problem, sich die nötige Unterstützung der Moskauer Stadtteil-Abgeordneten zu sichern. Die Skandale um Balakin könnten gut Sobjanins eigene Bausünden verdecken und der Baulöwe so als "Antiheld" der Wahlkampagne dienen, mutmaßt "Wedomosti".

Das Prinzip ist zumindest erprobt: Balakin gehört zum Umfeld des dubiosen Politologen Andrej Bogdanow, der 2008 bei der Präsidentenwahl gegen Putin antrat, aber im Wahlkampf alles tat, um sich in den Augen der Russen zu diskreditieren.

Tiefe Spaltung

Die Niederlage der Liberalen allein auf das Ränkespiel der Kremlpartei zu beschränken wäre aber zu kurz gegriffen. Das Oppositionslager hat sich die Pleite auch zum großen Teil selbst zuzuschreiben, ist sie doch seit mindestens einem Jahr tief zersplittert.

"Dem Kreml ist es gelungen, die Opposition während des Präsidentenwahlkampfs in drei Teile zu splittern", sagte der Politologe Kirill Rogow dem STANDARD. Als Vehikel diente der Wahlausschluss Nawalnys bei der gleichzeitigen Zulassung der in Oppositionskreisen umstrittenen Xenia Sobtschak. Politische Eitelkeiten und Animositäten innerhalb der Führungsschicht der Liberalen besorgten den Rest: Während ein Teil die Präsidentenwahl boykottierte, versuchten andere Stimmen für Sobtschak beziehungsweise Grigori Jawlinski zu sammeln. Am Ende standen alle drei Gruppierungen als Verlierer da.

Die Streitigkeiten haben sich auch auf den Moskauer Wahlkampf übertragen. Obwohl Dmitri Gudkow bereits seit einem Jahr seine Kampagne für das Bürgermeisteramt fährt, mischte sich plötzlich Nawalnys Vertrauter Ilja Jaschin ein und verkündete seine eigene Kandidatur. Jaschin zog seine Bewerbung vor Tagen zurück, nachdem auch er am Wahlfilter scheiterte. Beide Kandidaten haben sich damit auch gegenseitig Stimmen der Abgeordneten weggenommen.

Die sozialliberale Partei Jabloko setzte dem Chaos die Krone auf: Der Chef der Moskauer Filiale Sergej Mitrochin scheiterte in der parteiinternen Vorauswahl und drohte daraufhin mit einer Klage gegen die eigene Partei, die am Ende ganz ohne Kandidaten dagestanden war, aber eben auch keinen anderen liberalen Kandidaten unterstützte.

Gudkow hat angekündigt, sich nach seinem Ausscheiden mit seiner Partei des Wechsels nun auf die Wahl zur Moskauer Stadtduma 2019 konzentrieren zu wollen. "Wenn sich die Opposition nicht einig wird, kann sie aber auch dort auf wenig rechnen", meint Rogow. (André Ballin aus Moskau, 4.7.2018)