Es ist ein heißer Junitag – für das österreichische Ausgrabungsteam eher unerwartet in Anbetracht dessen, dass wir uns im vermeintlich kühlen Norwegen befinden. Wir stehen im Halbkreis angeordnet auf einer Anhöhe im Park von Borre, alle haben den Blick auf die große Vertiefung vor uns gerichtet, in der Petra Schneidhofer von der Vestfold Fylkeskommune und Erich Nau vom Norsk institutt for kulturminneforskning stehen und uns den aktuellen Forschungsstand und die Geschichte des Hügelgräberfeldes von Borre näherbringen. Während wir zuhören, gesellen sich ein paar neugierige Kinder zu uns, die anhand unserer Warnwesten wohl vermuten, dass hier Interessantes vor sich geht.

Im Vordergrund Erich Nau, während er den Studenten, Praktikanten und wissenschaftlichen Mitarbeitern Details über das Hügelgräberfeld von Borre erzählt.
Foto: Nora Siegmeth

Borre – ein überregionaler Knotenpunkt

Das zwischen 600 und 900 n. Chr. errichtete Gräberfeld mit neun großen und 26 kleineren Grabhügeln liegt in der Provinz Vestfold im Südwesten von Norwegen. Bereits vor der Vereinigung des Landes unter dem berühmten König Harald Blauzahn im 10. Jahrhundert war diese Region von großer Bedeutung. Das Gräberfeld ist eines der größten seiner Art und bisher nur vergleichbar mit Alt-Uppsala (Schweden) und Jelling (Dänemark). Lange ging man davon aus, dass die monumentalen Grabstätten in Borre dem sozial hochgestellten schwedischen Geschlecht der Ynglinger zuordenbar wären. Kürzlich durchgeführte DNA-Analysen ergaben jedoch, dass einige der Bestatteten aus anderen Teilen Skandinaviens stammten, womit die Rolle Borres als überregional wichtiger Knotenpunkt noch klarer wurde.

In dieser bedeutsamen Region soll auch weiterhin geforscht werden. Daher findet seit dem 18. Juni 2018 unsere Ausgrabung in unmittelbarer Nähe zu dem Hügelgräberfeld statt. Eine Kooperation zwischen dem Institut für Urgeschichte und Historische Archäologie der Universität Wien (UHA) und der Kulturabteilung der Vestfold Fylkeskommune (Kulturarv – VFK) ermöglicht es unserem 23-köpfigen Team, unsere Lehrgrabung hier in Norwegen zu absolvieren. Die Freude darüber ist natürlich groß – umso größer, da wir während unserer Arbeiten einen verlockenden Ausblick auf das Meer genießen, das nur einige Gehminuten vom Grabungsschnitt entfernt liegt.

Lehrgrabung mit denkmalpflegerischem Aspekt

Unsere Lehrgrabung dient allerdings nicht nur unserer Ausbildung, sondern hat einen durchaus realen, denkmalpflegerischen Aspekt: Der geplanten Erweiterung des modernen Friedhofareals in Borre muss eine archäologische Untersuchung vorangehen. Bereits vor der Planung der Ausgrabung wurden hier großflächig geophysikalische Untersuchungen mittels Georadar durchgeführt, um zerstörungsfrei umfassende Informationen über im Boden verborgene Strukturen zu gewinnen.

Ausgehend von den Ergebnissen der Prospektion haben wir daher unter der Leitung unseres Professors Wolfgang Neubauer und seinem norwegischen Kollegen Terje Gansum von der VFK vor fast drei Wochen das erste Mal Spaten, Scheibtruhe und Laserscanner zur Hand genommen. Zunächst wurde während der ersten Arbeitstage die oberste Humusschicht der 2.300 Quadratmeter umfassenden Fläche von einem Bagger abgetragen.

Während die Grabungsleitung den Baggerfahrer beriet, machten sich die Studenten eifrig an den Aufbau eines Zeltes, das für den Aufenthalt bei Schlechtwetter und während der Mittagspausen benötigt wird. Die Praktikanten und wissenschaftlichen Mitarbeiter richteten ein Büro vor Ort ein, in dem alles von Fundverwaltung, über Fotodokumentation, Erstellung digitaler Visualisierungen bis zur Zeichnung von Grabungsplänen stattfindet.

Von links: Erich Nau, Petra Schneidhofer, Wolfgang Neubauer und Ragnar Orten Lie beaufsichtigen die Baggerarbeiten.
Foto: Nora Siegmeth
Die Studenten beim ersten großflächigen Schichtabtrag per Hand. Selbst der Regen kann ihrer Konzentration nichts anhaben.
Foto: Nora Siegmeth
Trockenübungen: Ingrid Kowatschek und Nora Siegmeth erklären den Lehrgräblingen den Ablauf der Fotodokumentation, mittels der sämtliche Auffälligkeiten und Funde festgehalten werden.
Foto: Nora Siegmeth

Der erste Fund – ein frühmittelalterlicher Spinnwirtel

Der Ausblick auf wikingerzeitliche Funde und Befunde sorgte von Beginn an für große Motivation – diese stieg noch weiter, als bereits am dritten Arbeitstag ein frühmittelalterlicher Spinnwirtel mit Ritzverzierungen entdeckt wurde.

Der erste Fund – ein spätwikingerzeitlicher, frühmittelalterlicher Spinnwirtel mit radial angeordneten Ritzverzierungen.
Foto: Nora Siegmeth

Spuren des Zweiten Weltkriegs

Während es noch einige auffällige Strukturen auszugraben gilt, deren Datierung vorerst im Dunkeln liegt, stießen wir auch auf zeitlich eindeutig zuordenbare Spuren des Zweiten Weltkriegs: Einer unserer größten und arbeitsintensivsten Befunde stellte sich als Flakstellung heraus, in deren Kontext unter anderem Reste von Munitionsbehältern und Flakmunition gefunden wurden. Im Nahbereich einer damals hier bestehenden Munitionsfabrik jedoch keine allzu große Überraschung.

Mit einem 3D-Laserscanner werden alle archäologischen Strukturen von Constantin Hladik und Fabian Benedict dokumentiert und somit eine Darstellung als Modell ermöglicht.
Foto: Nora Siegmeth
Die Grenzen eines archäologischen Befundes sind oftmals nicht auf den ersten Blick erkennbar, weshalb gemeinsames Beraten und reger Austausch bei der Interpretation unerlässlich für die Grabungsarbeit sind.
Foto: Nora Siegmeth

Ausfahrt aufs Meer mit der Saga Oseberg

Die Arbeit mit den norwegischen Archäologen weckte bei vielen Teammitgliedern Interesse an zukünftiger Zusammenarbeit. Für die auszubildenden Studenten ist diese Lehrgrabung im Ausland eine spannende Erfahrung, von der sie viel Eigenständigkeit und den Umgang mit neuen Dokumentations- wie auch Visualisierungsmethoden mitnehmen.

Aber auch abseits der eigentlichen Grabungstätigkeit bekommen wir einen Einblick in die norwegische Archäologie. Terje Gansum und Historiker Ragnar Orten Lie setzen sich mit großem Engagement dafür ein, uns durch wöchentlich stattfindende Vorträge und Exkursionen die Geschichte Norwegens näherzubringen. Für kommenden Donnerstag erwartet uns etwas ganz Besonderes: eine Ausfahrt aufs Meer mit der Saga Oseberg, dem originalgetreuen Nachbau des Oseberg-Schiffs, eines fast vollständig erhaltenen Wikingerschiffs aus dem frühen 9. Jahrhundert.

Am Wochenende besuchte das Team das Viking Ship Museum in Oslo, wo die beeindruckenden Überreste des Oseberg-Schiffs – zu sehen im Hintergrund –, des Tune-Schiffs und des Gokstad-Schiffs ausgestellt sind.
Foto: Nora Siegmeth

Borre Digging

Noch bis 14. Juli läuft die Ausgrabung weiter. Die täglichen Grabungsgeschehnisse werden in einem von Studenten geführten Blog täglich für alle Interessierten unter borredigging.wordpress.com veröffentlicht. Welche Ergebnisse während unserer Arbeit hier noch zutage treten werden ist ungewiss, aber die Neugierde ist groß. (Nora Siegmeth, 5.7.2018)