Gastierte im Rahmen des Jazzfest Wien in der Wiener Staatsoper: Thomas Quasthoff.

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Wien – Am charmantesten seine Soloeinlage: Mit einem Riff – in der Art von Lehrmeister Bobby McFerrin – groovt sich Thomas Quasthoff kurz ein, entwickelt eine Blueskadenz. Soulige Exaltationen legt er über sie, um schließlich mit perkussiven und trompetenden Einsprengseln in die Tonart des Heiteren hinüberzugleiten.

Quasthoff ruft dann "Das Leben ist kurz!" oder hält einen Vortrag zum Thema "Blebbuldobobibabu!". Gelächter begleitet seine pointierte Darbietung, diesen profundesten Moment eines vor allem respektablen Abends.

Quasthoff trifft mit seinem Trio an sich die Big Band der Vereinigten Bühnen Wien. Das Problem: Die gebündelten Kräfte kommen kollektiv nicht vollends zur Entfaltung. Selten darf das VBW-Orchester sein Potenzial ausspielen; viele Arrangements sind gar dezenter Natur. Und selten geht Quasthoff beim Standards-Repertoire übers Solide hinaus.

Seine Stimme versprüht zwar nach wie vor das gewisse Etwas. In Songs wie Nice 'n' Easy demonstriert er, dass er als ehemaliger Klassikkünstler, der der Klassik entsagte, auch den speziellen Charakter einer jazzigen Phrasierung beherrscht. Auch im Balladenfach gelingt da und dort eine magisch-lyrische Phrase.

Allerdings scheint der Deutsche gestalterisch auf Momente der quasi zufälligen Eingebung angewiesen zu sein. Bleibt diese aus, verflacht sein Vortrag zur schlicht wirkenden melodischen Umsetzen von Texten. Die Lieder wirken dann buchstabiert oder etwas beiläufig angelegt – wie etwa Willow Weep for Me. Ist zu bedauern. Zum einen verdienen interpretierte Jazzstandards jene Präzision des Ausdrucks, die Quasthoff einst etwa Schuberts Winterreise angedeihen ließ. Zum anderen sind im Jazz die Möglichkeiten einer radikal subjektiven Interpretation, die einen Song quasi neu zum Leben erweckt, unendlich.

Eine herausragende Stimme, Quasthoffs Stimme, könnte noch stringenter und zugleich subjektiver mit den jazzigen "Minidramen" umgehen. Er könnte gewissermaßen durch jene Türen, die er gesanglich aufstößt, auch gehen. (Ljubisa Tosic, 4.7.2018)