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Kylian Mbappé – auf den Schultern von Les Bleus zum bisherigen Rookie des Turniers.

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Europa und Südamerika teilen sich die Weltmeister auf.

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In den früheren Zeiten, als die Welt noch viel größer gewesen ist, waren Fußball-Weltmeisterschaften große, immer faszinierende, oft überraschende Messen. Tauschbörse vor allem zwischen Südamerika und Europa, den beiden Beinen, auf denen der Weltfußball einher- und in manchen Phasen gar voranschritt.

Die beiden Fußballerbeine – der südamerikanische Verband Conmebol und die europäische Uefa – tragen den Weltfußball weiterhin allein, wie auch die laufende WM zeigt, die nun vor den Viertelfinali hält. Conmebol entsendet zwei, die Uefa sechs Mannschaften. Beide Verbände trauern aber auch über den vorzeitigen Abschied so mancher Allzeitgrößen.

Echte Zauberer

Conmebol verlor mit Argentinien einen zweifachen Weltmeister, der einst – in der so viel größeren Welt – nicht nur mit Siegen verzaubern konnte, sondern mit echten Zauberern. Sagen wir: Mario Kempes 1978, Diego A. Maradona 1986. Denen eiferte Lionel Messi, zunehmend verbissener, nicht allein nach, sondern mithilfe all seiner Wasserträger inklusive Coach Jorge Sampaoli. Das aber ging so schief, dass daraus beinahe eine Lehre zu ziehen wäre: Vergiss die Primadonnen, schaue, dass alle elf zusammen etwas Zwölftes bilden – die Mannschaft.

"La Mannschaft" stünde da aber als gegenteiliges Beispiel wunderbar parat. Was die Deutschen hier abgeliefert haben, war das Resultat eines sehr kontraproduktiven Beschwörens von Teamgeist. Die Alten blockierten die Jungen, das Weltmeister-Trainerteam saß auf Lorbeeren schon errungenen Renommees, welche das Menetekel an allen Wänden des komischen Quartiers in Watunkiki sehr eigen interpretierte: dass alles eh schon werde, weil man ja eine Turniermannschaft sei. Man war stattdessen nicht einmal mehr eine Mannschaft, beschwor sie bloß wie Europa seinen Gedanken von sich.

Schwedische Drohung

Der frühe Abschied solcher Kaliber sucht sinnreiche Erklärungsversuche. Immerhin gesellen sich zu Argentinien und Deutschland auch die beiden Iberer, Spanien und Portugal mit seinem Cristiano Ronaldo. Nicht vergessen sollten wir aber auch Italien und die Niederlande, die beide schon in der Qualifikation den Schweden zum Opfer gefallen sind, von deren ballesterischer Performance irgendwas zu halten wir uns trotz allem noch nicht durchringen können.

Was uns andererseits nicht daran hindern sollte, daraus Lehren ziehen zu wollen. Was die Schweden nämlich in ihrer Unansehnlichkeit zeigten, war das fußballerische Primat des fein gestimmten kollektiven Tuns. Schweden ist nicht deshalb ins Viertelfinale gekommen, obwohl ein Zauberer wie Zlatan Ibrahimovic gefehlt hat. Sondern weil. (Bei Argentinien traf das Gegenteil zu.)

Keine Helden mehr

Es zeichnet sich diesbezüglich fast ein Trend ab: Seit die Fifa in ihrer raffgierigen Liebedienerei den Medien und Sponsoren gegenüber stets einen "Man of the Match" ermittelt, gibt es keinen mehr. Helden haben ausgedient. Diven sowieso, wie man am präsumtiven "Man of the Tournament" gut sehen kann: Neymar wird in ganz Brasilien nicht beklatscht, sondern verspottet. Er bezaubert nicht. Er nervt.

Die diesbezügliche Ausnahme ist bislang Frankreich. Coach Didier Deschamps hat aus Les Bleus offensichtlich wirklich eine Mannschaft geformt, aus der gleichwohl einer anfängt herauszuragen seiner Fähigkeiten, aber auch seiner extremen Jugend (19) wegen: Kylian Mbappé. Den oft störend outrierenden Geniekicker Paul Pogba hat man in den Teamgriff bekommen. Mit N'Golo Kanté schlug er den aufregendsten Teamrhythmus des Turniers.

Englands neuer Traum

England hat sich unterm Coach Gareth Southgate endgültig – und endlich! – vom traditionellen Inselkick verabschiedet. Flach (auch in der Hierarchie) geht es nach vorn und hinten. So sucht man zwar Harry Kane. Aber den eben nur als Teil des Ganzen.

Die taktischen Ausrichtungen haben sich einander weitgehend angeglichen. Ob Dreierabwehr mit hohen Außen, zwei Viererketten, zwei Sechser, ein 4-3-3, breit oder schief: Die Teams haben alles (und die Antworten) drauf, vermögen mittlerweile im Match zu switchen, nicht nur im Defensiv- und Offensivfall, sondern auch im Rückstands- oder Führungsfall.

Schiefer Baum

Sieht man von Teams wie Saudi-Arabien, Island oder Panama einmal ab, so können das alle. Es gibt – nach einem Wort, das in Österreich aufgekommen ist, als dessen Fußball dabei war, bloßfüßig zu werden – keine Bloßfüßigen mehr. Die vielen späten Tore mögen – neben all dem Glück, das zu unterschätzen keinem Fußballer zu raten ist – ein Indiz sein.

Beschuht sind heute alle. Es wäre also möglich (wenn auch höchst unerwünscht), dass Schweden über England drüberkommt und schließlich gar ins Finale einzieht. Denn der Turnierbaum ist äußerst schief. Auf einer Seite Uruguay vs. Frankreich und Brasilien vs. Belgien; auf der anderen Schweden vs. England und Russland vs. Kroatien. (Portugal vs. Griechenland, das EM-Finale 2004, sei gnädig vergessen!).

Prophezeiungen sind, wie man weiß, schwer. Sie betreffen ja meist die Zukunft. Aber wünschen könnte man sich ja was: dass die beiden bislang Erfrischendsten sich am Ende matchen. Und England würde Vizeweltmeister hinter Frankreich. (Wolfgang Weisgram, 4.7.2018)