Demonstration gegen den Zwölfstundentag am vergangenen Wochenende in Wien.

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Zwölf Stunden zu arbeiten war in Österreich schon bisher möglich. Nicht nur im öffentlichen Dienst, bei Krankenschwestern und Polizisten. Ausnahmeregelungen erlaubten die langen Tage auch in der Privatwirtschaft. Die türkis-blaue Koalition wird die bisher strikten Voraussetzungen, unter denen dies gestattet war, lockern.

Rund um diese auf den ersten Blick unkompliziert klingende Reform ist ein heftiger politischer Kampf entbrannt. ÖVP und FPÖ sehen eine notwendige Flexibilisierung durch die neuen Regelungen. SPÖ und Gewerkschaft sprechen von Lohnraub. Um die Gesetzesreform zu verstehen, ist ein Blick auf das derzeit geltende Recht notwendig.

In Unternehmen mit Betriebsrat konnte die maximale Arbeitszeit schon bisher für begrenzte Zeit auf zwölf Stunden am Tag und 60 Stunden in der Woche ausgedehnt werden. Darüber musste in Betrieben mit Betriebsrat eine Vereinbarung geschlossen werden. Diese Anforderung fällt künftig weg. Eine Vereinbarung kann abgeschlossen werden, ein Zwang besteht aber nicht mehr. Die Arbeitnehmerverbände orten darin eine Schwächung ihrer Position. In Unternehmen ohne Betriebsrat waren Zwölfstundentage ebenfalls bereits möglich, allerdings musste das ein Arbeitsmediziner absegnen. Diese Voraussetzung, die Arbeitgeber als veraltet kritisierten, fällt ebenso.

Heißt das, künftig kann es immer die 60-Stunden-Woche geben? Nein. Den Rahmen gibt eine EU-Richtlinie vor: Innerhalb eines Zeitraums von 17 Wochen, also gut vier Monaten, darf die durchschnittliche Arbeitszeit 48 Stunden pro Woche nicht übersteigen. Wer einmal 60 Stunden arbeitet, muss zum Ausgleich freie Tage bekommen oder wochenweise weniger arbeiten. Doch worauf müssen sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber künftig konkret einstellen:

Hitzig diskutiert wird vor allem darüber, wann Arbeitnehmer die elfte und zwölfte Arbeitsstunde ablehnen können. Darf die Kassiererin im Bekleidungsgeschäft sagen, dass sie nur zehnstündige Schichten übernehmen kann, weil sie danach ihre Kinder abholen muss?

In dem von ÖVP und FPÖ ursprünglich im Nationalrat eingebrachten Gesetzesantrag war ein solches Ablehnungsrecht nicht vorgesehen. Die Kassiererin hätte die elfte und zwölfte Arbeitsstunde nur aus "überwiegend persönlichen Interessen" ablehnen dürfen. Welche Interessen damit umfasst sind, hätten im Streitfall Gerichte beurteilen müssen. Nach heftiger Kritik wurde der Passus abgeändert.

Der Gesetzesvorschlag sieht vor, dass Arbeitnehmer nach der zehnten Arbeitsstunde weitere Überstunden "ohne Angabe von Gründen" ablehnen dürfen. Die Gewerkschaft argumentiert, dass in der Praxis Arbeitnehmer im Regelfall nicht einfach Nein sagen können. Der Druck auf Beschäftigte werde steigen.

Allerdings wird festgeschrieben, dass Arbeitnehmer bei Bezahlung und Aufstiegschancen nicht benachteiligt werden dürfen, weil sie die elfte und zwölfte Stunde ablehnen. Wer gekündigt wird, weil er vom Ablehnungsrecht Gebrauch gemacht hat, kann dagegen gerichtlich vorgehen. Was Arbeitgeber künftig verlangen können und was nicht, ist rechtlich also eng umgrenzt.

Für die neunte und zehnte Stunde gelten dieselben Ablehnungsrechte wie bisher. Hier gilt, dass ein Arbeitnehmer "berücksichtigungswürdige Interessen" haben muss, um Nein zu Überstunden sagen zu können. Einfach so ablehnen darf er sie nicht. Welche Interessen das sein können, sagt das Gesetz nicht. Im Einzelfall muss zwischen Interessen des Betriebes und des Angestellten abgewogen werden.

Rund ein Drittel aller Arbeitnehmer in Österreich hat mit seinen Arbeitgebern ein Gleitzeitmodell vereinbart. Verbreitet sind solche Modelle vor allem im Dienstleistungssektor, bei Banken, in der IT-Branche. Bisher galt, dass in der Gleitzeit maximal zehn Arbeitsstunden erlaubt waren. Künftig sind zwölf Stunden möglich.

Ein Streit tobt darüber, wie Überstunden behandelt werden müssen, ob also Zuschläge anfallen oder nicht. Die Idee hinter der Gleitzeit ist, dass Arbeitnehmer sich möglichst selbst einteilen, wann sie ihre Arbeit erledigen. Die meisten Juristen sind der Ansicht, dass angeordnete Überstunden nicht in die Gleitzeit fallen und mit Zuschlag auszubezahlen sind. In der Praxis fallen allerdings im Rahmen einer Gleitzeit wohl nur in extremen Ausnahmefällen echte Überstunden an. In Betrieben wird zwischen angeordneten Überstunden und wirklich freiwillig gearbeiteten nur selten unterschieden, sagt ein Arbeitsrichter. Die elfte und zwölfte Stunde wird in der Praxis nur selten mit Zuschlägen ausbezahlt werden.

Der erste Gesetzesvorschlag von ÖVP und FPÖ enthielt keine Regelungen dafür, wie der Freizeitkonsum künftig auszusehen hat. Das wurde nachgebessert. Wenn in einer Gleitzeit zwölf Stunden möglich sein sollen, müssen Arbeitnehmer angesammelte Überstunden in Form von ganzen freien Tagen abbauen können. Sie müssen die freien Tage mit Wochenenden im Block konsumieren können.

Welche Mitwirkungsrechte haben Betriebsräte künftig bei Überstunden, und was geschieht mit existierenden Betriebsvereinbarungen zum Zwölfstundentag? Eine simple Antwort darauf gibt es nicht. In der Industrie zum Beispiel gibt es viele Betriebe, in denen vorübergehend in Zwölfstundenschichten gearbeitet wird. Betriebsräte und Gewerkschaft haben sich ihre bisher nötige Zustimmung zu solchen Vereinbarungen abkaufen lassen. Festgelegt ist dann etwa, dass die elfte und zwölfte Arbeitsstunde mit 100 Prozent Zuschlag auszubezahlen sind. Vorgeschrieben sind nur 50 Prozent.

Das neue türkis-blaue Arbeitszeitgesetz hält ausdrücklich fest, dass für Arbeitnehmer bestehende günstige Vereinbarungen weiter bestehen bleiben. Doch viele der Betriebsvereinbarungen zum Zwölfstundentag sind befristet geschlossen worden, auf einige Monate oder ein Jahr. Solche Betriebsvereinbarungen ohne zeitliche Begrenzung sind vom Arbeitgeber zudem kündbar. Einige Juristen sagen, dass im Falle einer Kündigung die Extrazuschläge Teil des bestehenden individuellen Arbeitsvertrages werden. Aber das ist strittig und müsste im Streitfall erst vor Gericht ausgefochten werden. Eine zusätzliche Betriebsvereinbarung für die elfte und zwölfte Stunde werden Unternehmer nicht mehr brauchen. Ausnahme: in Betrieben mit Betriebsrat und Gleitzeit. Hier ist immer eine Vereinbarung nötig.

Vor allem für Führungskräfte gedacht, sind All-in-Verträge zusehends bei gewöhnlichen Anstellungen üblich. Dabei werden Überstunden, die Arbeitnehmer zusätzlich zu ihrer Normalarbeitszeit erbringen, pauschal abgegolten. Das geplante Gesetz ändert an diesem Regime nichts. Doch das schafft laut dem Salzburger Arbeitsrechtler Walter Pfeil Unsicherheit. Die Frage ist, ob künftig mit All-in-Verträgen auch die elfte und zwölfte Arbeitsstunde abgegolten sind oder extra Zuschläge gebühren.

Nicht automatisch, sagt Pfeil. Bei leitenden Angestellten umfassten die All-in-Verträge wie bisher auch die elfte und zwölfte Stunde. Bei allen anderen Arbeitnehmern sei dies nicht der Fall, weil die elfte und zwölfte Stunde im Regelfall bisher nicht erlaubt waren. Diese Verträge müssten nachverhandelt werden. Viele Arbeitgeber werden das so sehen, glaubt Pfeil. Wo keine Einigung gelingt, bleibt Arbeitnehmern nur der Gang zum Gericht.

Das Arbeitszeitgesetz mit seinen vielen zum Teil komplexen Bestimmungen gilt nicht für alle Arbeitnehmer. Leitende Angestellte und die Unternehmensleitung waren schon bisher ausgenommen. Die Idee dahinter ist, dass das Führungspersonal den Schutz durch das Gesetz nicht braucht und flexible Vereinbarungen getroffen werden sollen.

Die von ÖVP und FPÖ geplante Reform wird den Kreis jener Personen deutlich erweitern, für die das Arbeitszeitgesetz künftig nicht gilt. Neben leitenden Angestellten kommen nun auch Arbeitnehmer dazu, "denen maßgebliche selbstständige Entscheidungsbefugnis übertragen" sind. Dieser Personenkreis umfasst laut dem Arbeitsrechtler Pfeil typischerweise etwa den Leiter einer Lebensmittelfiliale. Für diese Gruppe wird es künftig automatisch keine Überstundenzuschläge mehr geben, weil für sie künftig nicht mehr gesetzlich festgelegt ist, was als Überstunde zu zählen hat.

Abweichende Regelungen können natürlich immer ausverhandelt werden. Die Erweiterung des Personenkreises wird von der Arbeiterkammer kritisiert, weil "selbstständige" Entscheidungsbefugnisse ein außerordentlich weit gefasster Begriff sei. ÖVP und FPÖ argumentieren, dass weiter nur Führungskräfte betroffen sein werden. (András Szigetvari, 5.7.2018)