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Ein Bergbauarbeiter wird nicht so leicht programmieren lernen, betont OECD-Chef Ángel Gurría. Das Bildungssystem müsse früher greifen.

Foto: Reuters / Yusuf Ahmad

Zehn Jahre später sind wir wieder dort, wo wir vor der Krise waren. So fasst OECD-Generalsekretär Ángel Gurría die Beschäftigungslage in der Gruppe der 35 Industriestaaten von Mexiko bis Japan zusammen. Fast überall ist die Arbeitslosigkeit wieder unter oder nahe dem Niveau von 2008, die Zahl der offenen Stellen ist massiv angestiegen. Schließlich wächst die Weltwirtschaft robust. Besonders erfreulich: Benachteiligte Gruppen wie Ältere, Mütter oder ausländische Arbeitnehmer verzeichneten die stärksten Beschäftigungszuwächse im Jahresvergleich.


Der Befund trifft im Wesentlichen auch auf Österreich zu – nur bei der Arbeitslosigkeit liegt man hierzulande noch ein gutes Stück über den Werten vor der Krise, aber unter dem OECD-Schnitt.

Nun folgt das große Aber: Gurría spricht von einem "Wachstum ohne Löhne" analog zum lange Zeit beklagten "Wachstum ohne Jobs". Die Einkommen konnten in den vergangenen Jahren nicht mit dem Wachstum der Wirtschaft mithalten. Die Reallöhne sind nur halb so stark gewachsen wie vor der Krise. In Österreich ist dieser Effekt aber gering. Wie die Suche nach Ursachen zeigt, könnte diese Dynamik den Industriestaaten auf den Kopf fallen.

In die Hände gespuckt

Einen wesentlichen Grund für die schwächere Lohnentwicklung sieht die OECD in den schleppenden Produktivitätszuwächsen. Dabei wird berechnet, wie viel Wertschöpfung auf einen Arbeiter pro Stunde entfällt. In den vergangenen zehn Jahren hat sich das Produktivitätswachstum nahezu halbiert. Wenn Arbeit nicht produktiver wird, halten sich Unternehmen bei Löhnen zurück.

So weit sehen die Ökonomen kein Rätsel. Allerdings gab es seit der Krise eine "Entkoppelung" von Produktivität und Löhnen. Die Durchschnittslöhne sind nur halb so stark gestiegen wie die ohnehin niedrigen Effizienzsteigerungen seit 2008. Was steckt dahinter?

Unter führenden Unternehmern haben weder Löhne noch die Produktivität stagniert. Allerdings hat sich ihre Position seit der Krise verändert: Einerseits suchen sie nach besserqualifizierten Mitarbeitern. Deren Einkommen sind entsprechend überdurchschnittlich gestiegen. Andererseits kommen Spitzenfirmen mit weniger Mitarbeitern aus als früher. Dafür setzten sie mehr auf Kapital, also Maschinen und Roboter. Dadurch sinkt der Anteil von Arbeit an der Wertschöpfung.

Die Begleiterscheinung ist ein Anstieg von unfreiwilliger Teilzeit sowie schlechter bezahlter Jobs. Mitarbeiter, die während der Krise ihren Job verloren haben, fällt es schwerer, eine ähnlich entlohnte Stelle wie früher zu finden.

Der Druck, einen schlechteren Arbeitsplatz anzunehmen, ist größer, als viele glauben, sagt Gurría. Aktuell erhielte nur einer von drei Arbeitslosen in den OECD-Ländern Arbeitslosengeld. In seiner Heimat Mexiko gebe es so etwas gar nicht. Während also der Anreiz zu arbeiten durchaus vorhanden ist, fehlen die Fähigkeiten. Jeder vierte Erwachsene in der OECD hat nicht einmal Grundkenntnisse der Informationsverarbeitung, geschweige denn höhere Qualifikationen, die von der Wirtschaft heute nachgefragt werden. "In vielen Ländern wird nicht einmal Kindern beigebracht zu programmieren", bedauert Gurría, "wie können wir es da von Erwachsenen einfordern." Wie wichtig ein Bildungssystem ist, das Niedrigqualifizierte besser auffängt, ist ein Mantra, das die OECD seit Jahren vorbetet.

Der aktuelle Bericht hebt zum ersten Mal einen positiven Aspekt besonders hervor: Länder mit Kollektivverträgen schneiden besser ab, nicht nur bei der Lohnhöhe, sondern auch bei den Beschäftigungszahlen. Damit ist nicht nur Österreichs ausgeprägte Sozialpartnerschaft gemeint. Die OECD unterscheidet fünf Systeme des Interessenausgleichs zwischen Arbeitgebern und -nehmern.

Der Bericht hebt aber hervor, dass in Ländern, in denen selbstständige Verhandler über Sektoren hinweg koordinieren, etwa Österreich oder Deutschland, die Auswirkungen auf die Beschäftigung positiver seien. Abmachungen auf Ebene von Sektoren und Betrieben sollten nicht zu kurz kommen.

Das Wort "Extremfall" fällt im Zusammenhang mit der Pflichtmitgliedschaft in der Wirtschaftskammer. (slp, 5.7.2018)