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Orbán (li.) und Merkel demonstrieren Kooperation.

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Kanzlerin Merkel ringt um ihren Platz in der Geschichte.

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Berlin – Die deutsche Regierungskrise rund um den Streit zwischen den beiden Unionsparteien über die Asylpolitik wird am Donnerstag auf die europäische Ebene gehoben. In Wien spricht der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) mit dem österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) über die Auswirkungen der deutschen Pläne auf Österreich. In Berlin empfing Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ihren ungarischen Amtskollegen Viktor Orbán, einen prononcierten Zuwanderungsgegner.

Am Abend schließlich wollen Union und SPD bei einem weiteren Spitzentreffen in Berlin nach einer Lösung suchen. In Koalitionskreisen wird von guten Möglichkeiten für eine Einigung ausgegangen.

Der ungarische Ministerpräsident Orbán fühlt sich durch die deutsche Wahrnehmung der ungarischen Migrationspolitik unfair behandelt. "Es verletzt uns, wenn wir von Deutschland beschuldigt werden, dass wir keine Solidarität zeigen", sagte er nach einem Treffen mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin am Donnerstag.

Die Solidarität bestehe darin, dass Ungarns Grenzpolizisten Tausende Migranten abwiesen, die andernfalls nach Deutschland reisten, sagt Orbán im deutschen Bundeskanzleramt. Damit nehme man Deutschland "eine immense Last von den Schultern". Wenn Ungarns Südgrenze nicht "24 Stunden lang von 8.000 Menschen mit der Waffe verteidigt" werden würde, würden in Deutschland täglich 4.000-5.000 Migranten ankommen, meinte der Regierungschef. Ungarn hatte während der Flüchtlingskrise 2015 einen Zaun an der Grenze zu Serbien und Kroatien errichtet und die Kontrollen und rechtlichen Vorschriften verschärft.

Kritik an Griechenland

Sein Land arbeite in diesem Bereich sehr hart, sagt Orbán auf der Pressekonferenz mit Merkel. Es sei sehr deutlich geworden, dass er und die Kanzlerin sehr unterschiedliche Sichtweisen auf das Thema Migration hätten. Orbán kritisiert zudem Griechenland, das viele Flüchtlinge nicht registriere. Deutschland müsste abgewiesene Migranten eigentlich dorthin zurückschicken. Ungarn sei nicht der Ersteintrittspunkt in die Europäische Union für diese Menschen, sondern Griechenland, betonte Orbán.

Es war Orbáns erster Besuch bei der deutschen Kanzlerin seit Mai 2014. Orbán galt in der EU lange Zeit als schärfster Kritiker von Merkels Flüchtlingspolitik. Nach der Dublin-III-Verordnung ist im Regelfall das EU-Land für den Asylantrag zuständig, in dem ein Schutzsuchender erstmalig registriert wurde.

Rechtes Treffen am Mittwoch

Bereits am Mittwoch war Orbán mit Seehofer und dem italienischen Innenminister Matteo Salvini von der rechtsradikalen Partei Lega zusammengetroffen.

Die Union hatte sich nach einem erbitterten Streit zwischen Seehofer und Merkel auf einen Kompromiss für die Rückführung bestimmter Asylwerber geeinigt.

Diejenigen, die schon in einem anderem EU-Staat einen Asylantrag gestellt haben und an bestimmten Grenzübergängen an der deutsch-österreichischen Grenze angetroffen werden, sollen in ein sogenanntes Transitzentrum kommen und von dort binnen maximal 48 Stunden in das andere Land zurückgeführt werden.

Die Fallzahlen sind überschaubar – derzeit gibt es pro Tag in Bayern rund fünf Fälle. Neue Gebäude werden wahrscheinlich nicht gebaut. Eine Option ist, dass für die Personen Unterkünfte der Bundespolizei genutzt werden, bis zur Regelung der Rückführung.

Skepsis bei SPD

Am Donnerstagabend will die Union ihren Koalitionspartner SPD einmal mehr von ihrem Konzept zu einer Verschärfung der Asylpolitik überzeugen. Diese will einem Medienbericht zufolge das Vorgehen von Seehofer bei der Erstellung seines "Masterplans Migration" untersuchen lassen. "Es ist höchst merkwürdig, wenn ein Papier im Innenministerium erstellt und dann als CSU-Papier herumgereicht wird", sagte die SPD-Innenpolitikerin Eva Högl der "Rhein-Neckar-Zeitung" vom Donnerstag.

Die SPD habe den wissenschaftlichen Dienst des Bundestags mit einer Überprüfung beauftragt. "Das werden wir uns ganz genau anschauen", kündigte Högl an.

Högl forderte überdies, Flüchtlinge, die bereits in einem anderen EU-Staat Asyl beantragt haben, zügig dorthin abzuschieben. "Für sie muss in Schnellverfahren geklärt werden, wie sie zurückgeführt werden können", sagte die SPD-Politikerin. Dabei handle es sich aber nur um wenige Fälle. Schon heute gelte das Asylrecht nicht für Menschen, die aus einem EU-Land oder sicheren Drittstaat einreisten. "Das Asylrecht wird also nicht eingeschränkt", sagte Högl.

SPD gegen Residenzpflicht

Zugleich bekräftigte sie die Ablehnung ihrer Partei gegenüber einer Residenzpflicht in den von der Union geplanten Transitzentren an der deutsch-österreichischen Grenze. "Mit uns gibt es keine geschlossenen Lager", sagte Högl.

Die Union peilt eine kurze Verweildauer der Flüchtlinge in den geplanten Transitzentren an. Sie sollen dort nach Angaben von Merkel und Seehofer nur bis zu 48 Stunden festgehalten werden. Die SPD zeigte sich zuletzt einigungsbereit, äußerte aber auch Skepsis. Am Donnerstagabend wollen die Spitzen von Union und SPD weiter darüber verhandeln. (red, APA, dpa, 5.7.2018)