Abgeordnete der Regierungsparteien mit ihren Taferln.

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Wien – Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) hatte alle Hände voll zu tun. Mit einem harten Schlagabtausch begann und endete die Debatte über die Reform des Arbeitszeitgesetzes am Donnerstag im österreichischen Nationalrat. Die Regierungsfraktionen und die Opposition schenkten einander dabei wenig, von "Lüge", "Klassenkampf auf tiefstem Niveau", "Hooligansektor" sowie von angeblichen Drohungen gegen Abgeordnete und vom Bruch mit einer langjährigen parlamentarischen Tradition war die Rede. Dazwischen wurde kurz auch sachlich diskutiert.

Nach mehr als 50 Wortmeldungen und der aufgeheizten Stimmung entsprechend häufigen Ermahnungen von Parlamentspräsident Sobotka ging alles ganz schnell. Mit den Stimmen von ÖVP, FPÖ und Neos (siehe unten) wurde das neue Arbeitszeitgesetz beschlossen. Alle Abänderungsanträge der Opposition wurden abgelehnt.

Streit über Geschäftsordnung

Der Streit hatte sich schon am Morgen entzündet. ÖVP und FPÖ wollten ursprünglich, dass das neue Arbeitszeitrecht ab Jänner 2019 gilt. In der Nacht auf Donnerstag sickerte aber durch, dass die neue Regelung stattdessen bereits im September in Kraft treten wird. Die Klubobleute von SPÖ, Neos und der Liste Pilz kritisierten diese ihrer Ansicht nach überfallsartige Vorgehensweise, von der sie nur aus den Medien erfahren haben wollen.

Bereits zuvor hatte die Opposition kritisiert, dass das Arbeitszeitgesetz ohne Begutachtung durch den Nationalrat gebracht wurde. Die neue Regelung zum Zwölfstundentag hatten ÖVP und FPÖ via Initiativantrag im Parlament eingebracht. Herausgekommen sei dadurch ein technisch schlecht gemachtes Gesetz, hieß es von den Neos. Bei dieser Vorgangsweise bleibe einem "die Spucke" weg, sagte deren Klubchef Matthias Strolz.

Erster Redner war SPÖ-Chef Christian Kern.
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ÖVP und FPÖ hingegen argumentierten, dass sie sich strikt an die Geschäftsordnung gehalten hätten. Wer skandalisiere, dass ein Gesetz per Initiativantrag eingebracht werde, verstehe Demokratie nicht richtig, sagte FPÖ-Politiker Johann Gudenus, der ob der häufigen Zwischenrufe von der SPÖ dann auch vom "Hooligansektor" sprach.

FPÖ sieht Ende der Bevormundung

Im Plenum hatten die Regierungsparteien das neue Gesetz als großen Fortschritt präsentiert. Von freiheitlicher Seite war erneut das Argument zu hören, dass künftig nicht mehr Betriebsräte über Mitarbeiter hinweg bestimmen können, ob diese auch einmal zwölf Stunden arbeiten dürfen. Das erhöhe die individuelle Wahlfreiheit. Bisher war festgeschrieben, dass in Unternehmen mit Betriebsräten nur dann zwölf Stunden gearbeitet werden darf, wenn diese dem zustimmen. Diese Bestimmung fällt künftig weg. Die Regierungsparteien argumentierten weiters, dass mit dem neuen Gesetz öfter mal eine Viertagewoche möglich sein wird.

Und: Die SPÖ habe ja selbst eine Arbeitszeitflexibilisierung vorgeschlagen, und zwar im Plan A des Ex-Bundeskanzlers Christian Kern. Genau das Gleiche setze man nun bei der Gleitzeit um. Bei der Gleitzeit werden künftig Zwölfstundentage möglich sein. Arbeitnehmer müssen aber im Gegenzug das Recht bekommen, Zeitausgleich auch geblockt ganztägig in Verbindung mit einem Wochenende zu nehmen.

Rosenkranz argumentierte, dass der Achtstundentag und die 40-Stunden-Woche bleiben würden, die elfte und zwölfte Arbeitsstunde müssten nur freiwillig abgeleistet werden.
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SPÖ-Chef Kern attackierte in seiner Rede die FPÖ als Partei, die "Verrat" an Arbeitnehmern begehen würde. Industrie und Wirtschaftskammer hätten ein Gesetz bei der ÖVP bestellt und bekommen. Die FPÖ sei umgefallen und habe dem zugestimmt. Die vielen SPÖ-Nachredner schlugen ähnliche Töne an und kritisierten, dass Freiwilligkeit im Berufsleben nicht existiere.

Im neuen Arbeitszeitgesetz gilt, dass Beschäftigte die elfte und zwölfte Stunde ohne Angabe von Gründen ablehnen können. ÖVP und FPÖ sprechen davon, dass die volle Freiwilligkeit gewährleistet sei. Kein Arbeitnehmer könne ständig Nein sagen, hieß es dagegen von den Sozialdemokraten. Die Regierung tue geradezu so, als werde künftig die Billa-Kassierin entscheiden, wann das Geschäft aufsperrt, sagte der SP-Abgeordnete Reinhold Einwallner.

Wöginger betonte, dass es in vielen Betrieben Zwölfstundentage schon gebe.
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Mehrere ÖVP-Parlamentarier warfen der SPÖ im Zuge der Debatte vor, mit gefährlichen Drohungen Politiker der Regierungsparteien unter Druck zu setzen. ÖVP-Klubchef August Wöginger kritisierte, dass vor Häusern mehrerer seiner Parteikollegen angeblich Pflastersteine und Grabkerzen mit Protestschreiben gegen das neue Gesetz gefunden wurden. Zum Beleg zeigte er eine Fotografie her. Wöginger sagte, dass bei den Botschaften dieselben Sujets verwendet wurden, die auch SPÖ-Abgeordnete im Parlament benutzen (der durchgestrichene Zwölfer). Wöginger sprach von einem unerhörten Vorgang.

Neos: Nachteile für Fabrikarbeiter

SPÖ-Abgeordneter und Baugewerkschafter Josef Muchitsch sagte, Pflastersteine stünden nicht für Gewalt, sondern symbolisierten die harte Arbeit, die viele Menschen leisten, unter anderem Pflasterer. Auf sie kommen nun weitere Überstunden zu. Andere SPÖ-Politiker sagten, mit der Aktion nichts zu tun zu haben.

Abgeordneter Gerald Loacker sagte, er sei ein überzeugter Unterstützer der Arbeitszeitflexibilisierung, aber die Regierung mache es einem schwer.
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Inhaltlich am ehesten mit dem neuen Gesetz und weniger mit dem politischen Gegenüber auseinandergesetzt haben sich die Neos. Der Abgeordnete Gerald Loacker kritisierte, dass, während künftig bei der Gleitzeit Gutstunden in Form ganzer Tage konsumiert werden dürfen, eine solche Regelung für Schichtarbeiter in der Fabrik fehlte. Er selbst sei für eine Arbeitszeitflexibilisierung, sagte Loacker. Aber die vorgelegte Regelung gehe zu weit, und "dass ich das sage, sollte Ihnen zu denken geben".

Kritik kam auch von der Liste Pilz. Tenor: Mit dem neuen Zwölfstundentag gebe es keine Vereinbarkeit mehr von Familie und Berufsleben, insbesondere für Frauen. (András Szigetvari, 5.7.2018)