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Óscar Tabárez wacht über Uruguay.

Foto: AP/Pisarenko

Liveticker: WM-Viertelfinale: Uruguay vs. Frankreich, Fr. 16 Uhr

Nischni Nowgorod – Wer Óscar Tabárez bei der WM arbeiten sieht, bekommt zunächst ein beklemmendes Gefühl. Auf eine Krücke gestützt, quält sich der Nationaltrainer Uruguays von der Bank in die Coachingzone, zum Training lässt er sich mit einem Golfmobil fahren, bei Pressekonferenzen ist auf dem Podium wegen seines gekrümmten Rückens fast nur der Kopf zu sehen.

Tabárez ist mit 71 Jahren der älteste Trainer dieser WM. Körperlich beeinträchtigt ist er vor allem wegen des Guillain-Barre-Syndroms, einer Nervenerkrankung, die Muskelschwäche auslöst. Doch seine Augen sind hellwach, seine Anweisungen klar, sein Verstand funktioniert bestens. "Er ist der Vater des Erfolgs, verantwortlich für die Entwicklung des Teams", sagt Stürmerstar Edinson Cavani: "Meine Wertschätzung ist unermesslich."

Fußball statt Krankheit

"El Maestro", wie der frühere Geschichtslehrer in seiner Heimat genannt wird, beweist wie etwa Jupp Heynckes (73) bei Bayern München, dass auch ältere Trainer im immer mehr auf Jugend getrimmten Profifußball Erfolg haben können. Über Fußball redet Tabárez gerne, über seine Krankheit dagegen so gut wie nie. Als ihn die Diagnose vor zwei Jahren ereilte, wurde er gefragt, ob er nicht lieber zurücktreten wolle. Untypisch für Tabárez brüllte er den Journalisten an: "Nichts ändert sich für meinen Job oder im Umgang mit den Spielern! Ich werde weitermachen, solange die Ergebnisse stimmen."

Ob Tabárez nach der WM endgültig in die Trainer-Pension geht, ist noch offen. Er würde eine große Lücke hinterlassen. 2006, als der uruguayische Fußball am Boden lag, hatte ihn der nationale Verband unter Flehen aus dem Ruhestand geholt. Die Qualifikation zur WM in Deutschland wurde verpasst, das Nationalteam von den Fans verachtet.

Diszipliniert, variabel und physisch stark

Vier Jahre später führte Tabárez die Himmelblauen bei der WM in Südafrika sensationell ins Halbfinale, im Jahr darauf zum Triumph bei der Copa América. Taktisch höchst diszipliniert, variabel und physisch stark – so spielt Uruguay unter Tabárez. So schlüpfte das Team, das erst ein Gegentor zuließ, auch in Russland in die Rolle des Geheimfavoriten.

Doch nicht nur die Ergebnisse stimmen unter Tabárez. Er sorgt auch für Zusammenhalt, selbst Stars wie Cavani oder Luis Suárez scheren nicht aus. Tabárez regiert nicht mit harter Hand, sondern mit natürlicher Autorität. Als gelernter Pädagoge hat er ein feines Gespür für den Umgang mit Menschen, seine Spieler folgen ihm bedingungslos. Wenn es sein muss, auch in die Bibliothek, die Tabárez im nationalen Trainingszentrum einrichten ließ.

Auch die Medien fressen dem "alten Wolf" aus der Hand, weil er nur selten mit Plattitüden um sich wirft. Seine Antworten haben oft philosophischen Tiefgang. So wie sein Satz nach dem unglücklichen 2:3 im WM-Halbfinale 2010 in Südafrika gegen die Niederlande: "Wenn ich eine Art des Verlierens wählen müsste, wäre sie der heutigen sehr ähnlich."

Rekord

In seiner insgesamt 14-jährigen Amtszeit hat Tabárez die Celeste in bisher 184 Länderspielen betreut – Rekord. Die 185. Partie, das Viertelfinale gegen Vize-Europameister Frankreich, soll nicht die letzte in Russland sein. "Wir sind hier, um sieben Spiele zu spielen", sagt Tabárez. Soll heißen: Der Champion von 1930 und 1950 will ins Finale.

Sollte Óscar Tabárez nach der WM tatsächlich aufhören, wird er sich aufrecht verabschieden. "Der Sportsgeist hält ihn auf den Beinen", schrieb die Zeitung El Pais über den Mann, der 2012 von der Unesco für sein soziales Engagement als "Meister des Sports" geehrt wurde. (sid, APA, fri, 5.7.2018)