Die Bilder von brennenden Autos erinnern an die schweren Ausschreitungen in den Pariser Banlieues von 2005.

Foto: AFP / Sebastien Salom Gomis

Nach einer ersten Krawallnacht richteten Gruppen von Jugendlichen auch in der Nacht auf Donnerstag wieder schwere Schäden im französischen Nantes an. Ganze Gebäude wie etwa eine Quartiersbibliothek brannten aus, dazu Dutzende von Autos. Schaufenster und Bushäuschen gingen in die Brüche. Die meist vermummten Krawallmacher warfen Molotowcocktails und Steine auf die in mehreren Kompanien angerückten Bereitschaftspolizisten, 19 Jugendliche wurden in der Nacht verhaftet; elf von ihnen blieben am Donnerstag vorerst in Haft.

Der geradezu eruptive Gewaltausbruch erfolgte in Reaktion auf eine Personenkontrolle. Ein Autofahrer konnte sich am Dienstagabend in Le Breil nicht ausweisen und wurde angehalten, auf die Wache mitzukommen, da seine Papiere nicht in Ordnung waren. Der 22-jährige Mann, der wegen bandenmäßigen Diebstahls in Paris per Haftbefehl gesucht war, setzte darauf zurück, wobei er einen Polizisten leicht am Knie verletzte. Der andere zog darauf seine Dienstwaffe und schoss durch das Wagenfenster. Die Kugel durchschlug die Halsschlagader von Aboubakar F. Er wurde ins Spital eingeliefert, starb dort aber kurz darauf.

Polizeiversagen

Gegen Mitternacht brannten die ersten Autos. Die Vertreter der betroffenen Wohnsiedlungen glauben nicht, dass es sich um Notwehr gehandelt habe, wie die Polizei verlauten ließ. Sie sprechen von einer "bavure" – ein sehr französischer Begriff für ein Polizeiversagen.

Premierminister Edouard Philippe kündigte am Donnerstag bei einem Besuch in Nantes eine amtliche Untersuchung und "volle Transparenz" an. Später wurde der Todesschütze in Gewahrsam genommen. Gegen ihn wird wegen "vorsätzlicher Gewalt durch eine Autoritätsperson ohne Tötungsabsicht" ermittelt.

Ganz Frankreich erinnert sich: 2005 waren die bisher größten Banlieue-Unruhen ausgebrochen, als zwei Kinder auf der Flucht vor der Polizei in einem Elektrizitätswerk durch einen Stromschlag umgekommen waren. Danach hatte sich die Lage in den Vorstädten zumindest äußerlich etwas entspannt. Auch die Terroranschläge gegen die Zeitschrift "Charlie Hebdo" und das Bataclan-Lokal im Jahr 2015 verlagerte die sozialpolitische "Banlieue-Debatte" eher hin zu Fragen den Jihadismus betreffend.

Parallelen zu den USA

Jetzt mehren sich die Spannungen an der Banlieue-Front wieder. Anfangs 2017 war bei Paris ein junger Afrikaner namens Theo in einer Polizeikontrolle mit einem Schlagstock in seinem Hintern malträtiert worden. Die Schilderung des Tathergangs durch den 22-jährigen Mann erwies sich in der Folge als teilweise falsch. Die Einsätze der amerikanischen Polizei gegen schwarze Bürger fanden aber ein großes Echo in den französischen Vorstädten. So wie früher die Intifadas die Banlieue-Spannungen angeheizt hatten, wirkt sich nun Donald Trumps Wahl in den USA sehr destabilisierend auf die Pariser Trabantenstädte aus. "Die Polizei tötet", lauten brandneue Graffitis in Nantes.

Die französischen Polizisten gelten an sich nicht als rassistisch, auch wenn laut Umfragen zu mehr als 50 Prozent für die Rechtsextremistin Marine Le Pen stimmen. In der Banlieue geraten die "Flics" heute systematisch in die Defensive. 2017 hatte die damals sozialistische Regierung den Begriff der Notwehr bereits ausweiten müssen. Das änderte nicht viel. In Nantes wurden die Insassen zweier Polizeiautos jüngst gefilmt, als sie das Viertel Le Breil fluchtartig verlassen mussten, um nicht mit Steinen beworfen zu werden. Das war noch vor der umstrittenen Polizeikontrolle. Der schiere Autoritätsverlust in diesen Banlieue-Zonen führte aber sicher auch dazu, dass der Polizist gegenüber Aboubakar F. so nervös handelte. (Stefan Brändle aus Paris, 5.7.2018)