"Doch nicht neben dem Rubens!" Eine blaue Plastikkehrschaufel unter dem venezianischen Edelmann?! Auch im Musentempel passieren solche Faux-pas. Aber was andere als feuchten Kehricht unter den Teppich befördern, wird bei Victoria Beckham auf Twitter offengelegt.

94 Retweets später ist das Meisterwerk, das vorübergehend im Londoner Flagship Store der Designerin in Mayfair ausgestellt war, verkauft. Zuschlag am Mittwochabend bei Sotheby’s bei 5.416.400 Pfund, umgerechnet 6.124.000 Euro. Es war das Toplos der Auktion und für ein Einzelporträt des Barockmalers ein neuer Rekord. Musenmission beendet.

Das kurze Gastspiel des Rubens und 16 weiterer Altmeister in der slicken weißen und betongrauen Modekulisse war ein kluger Marketing-Schachzug des britischen Auktionshauses für die Juli-Auktionen: Porträts von Adeligen in noblen Garderoben, arrangiert zwischen den neuesten textilen Begehrlichkeiten der Designerin. Während die Gegenwartskunst längst zum teuren Must-have investitionswilliger Sammlerinnen und Sammler geworden ist, könnte die alten Kunst – ist sie erst einmal modisch aufgefrischt – bei neuen Käuferschichten noch Potenzial ausschöpfen. Auch die Kunstsammlerin Beckham, so erzählt es Sotheby’s, habe ihre Altmeisterpassion ja erst spät entdeckt.

Screenshots: www.sothebys.com

Als "moderne Muse unter den Meistern" inszenieren sie ihre Werbebotschafterin. Wie für ein Gemälde posiert sie im rückenfreien Seidenkleid aus der eigenen Kollektion (der Shop ist direkt verlinkt: nur 1490 Pfund): im Profil, das Kinn stolz erhoben, ganz so als sei sie mit der edlen italienischen Fashionista, die ein Künstler aus dem Umkreis von Leonardo da Vinci im 16. Jahrhundert porträtiert hat, ident. Im strahlenden Licht der Instagram-Königin, die sich die Reiche des Pop, der Promis und der Mode erobert hat, sonnt sich auch der pelzdekorierte Aristokrat aus der Hand Lucas Cranachs des Älteren gern: Zuschlag bei 2,7 Millionen Euro.

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Angelockt hat die nur fünftägige Präsentation im Auktionshaus diesmal mehr als 7.000 Menschen, doppelt so viele wie normalerweise, und in Beckhams temporären Kunsttempel in der Dover Street kamen noch einmal 1.250 mehr. Schlange stehen für Auktionspräsentationen Alter Meister, das kommt sonst nicht vor. Die Public-Relation-Wirkung war also enorm, aber ob sich tatsächlich neue Käufer in das Londoner Bietergefecht bei den Evening Sales am Mittwoch und dem Day Sale am Donnerstag mischten?

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Laut "The Art Newspaper" gab es neue Bieter aus Lateinamerika und Asien. Die Verkäufe waren gut, aber waren sie auch überraschend? Neben dem Rubens erzielten die besten Ergebnisse zwei Gemälde, die nicht in der Auswahl des Ex-Spice-Girls waren: eine heilige Familie von Hans Baldung Grien (Zuschlag bei 3.010.000 Pfund) und ein Gemälde William Turners (der Hammer fiel bei 3.370.000 Pfund). Wie groß war also der Beckham-Effekt?

Sotheby’s wird es nicht verraten. Und wohl ebenso wenig, wie man zum eigenwilligen Musenbegriff kam. Denn die Muse Beckham inspiriert ja nicht zur kreativen Leistung, sondern im Wecken und Entdecken neuer Lüste und Leidenschaften vor allem zum Kauf. Sagen Sie doch einfach Influencerin zu ihr!

"Es gibt eine wirkliche Synergie zwischen Kunst und Mode", sagt die Modeschöpferin. Ja, in der Tat: Die gibt es. (Anne Katrin Feßler, 6.7.2018)

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