"Das Denken über Kinder als Subjekte mit eigenen Rechten ist eine unglaubliche Innovation", sagt Zuzana Kobesova.

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Bis in die Neuzeit galten Kinder als Besitztum ihrer Eltern, die über ihre Wünsche, Lebenswege und oft auch über Leben und Tod entscheiden konnten. Seit über 25 Jahren wird jedes Kind mit umfassenden Rechten geboren, die 1989 in einer UN-Konvention verabschiedet wurden. Seitdem soll das Wohl der Kinder Vorrang haben, alle Kinder gleich behandelt und ihre Meinung gleich gehört werden. Die Bildungswissenschafterin Zuzana Kobesova engagiert sich für das öffentliche Bewusstsein über Kinderrechte und zeigt so auf, wo diese noch nicht präsent sind.

STANDARD: Hat sich die Wahrnehmung seit der Einführung der UN-Kinderrechtskonvention verändert?

Kobesova: Im Denken über das Kind hat es historisch schon große Fortschritte gegeben – dadurch, dass die Schulpflicht eingeführt wurde und die Kinder quasi Zeit bekommen haben, um nicht gleich arbeiten zu müssen. Oder wenn wir an die gesunde Watsche denken und an das Wahlalter, wo Österreich wirklich ein Vorreiter ist.

STANDARD: Viele Kinderrechte entsprechen Teilen der Menschenrechtskonvention. Wieso ist es wichtig, sie noch einmal gesondert zu haben?

Kobesova: Kinder bedürfen eines besonderen Schutzes, um zu lernen, diese Rechte überhaupt zu praktizieren. Sie sind in den ersten Lebensphasen auf Erwachsene angewiesen, und die brauchen eine Grundlage, um Kinder überhaupt als eigene Rechtsobjekte wahrzunehmen. Wir Erwachsenen sind nicht geübt darin, Kindern zuzuhören. Wie oft sagen wir ihnen: "Wir unterhalten uns gerade, ich kümmere mich später um dich!" Das Denken über Kinder als Subjekte mit eigenen Rechten ist eine unglaubliche Innovation.

STANDARD: Inwiefern wird die Sicht der Kinder in die Formulierung von Kinderrechtskonventionen einbezogen?

Kobesova: Das ist eigentlich der größte und wichtigste Punkt bei Kinderrechten in Österreich. Erst 2015 hat Österreich seine Vorbehalte gegenüber den Artikeln der Kinderrechtskonvention zu Partizipation aufgehoben, sprich Rechte auf freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit und Information durchgesetzt.

STANDARD: Wie sollte Partizipation von Kindern aussehen?

Kobesova: Oft werden Kinder auf politischer Ebene einbezogen, in Bundesjugendvertretungen oder Jugendorganisationen. Das ist relevant, aber meines Erachtens zu wenig. Viel wichtiger finde ich, das, was verhandelt wird, mit Leben zu erfüllen. Als Erwachsene interpretieren wir tagtäglich Kinderrechte. Wir sollten aber nichts entscheiden, ohne uns dabei das Kind selbst vorzustellen oder einzubeziehen. Was würde ein Kind sagen, wie eine gute Pädagogin sein sollte oder wie eine gute Schule aussehen könnte?

STANDARD: Hat man als Elternteil auch die Verpflichtung, sein Kind über seine Rechte zu informieren?

Kobesova: Bei dem Wort Recht herrscht immer auch eine Angst vor Sanktionen. Es gibt diese Vorstellung, dass man als Erziehungsberechtigter gewisse Pflichten gegenüber seinem Kind hat. Aber ich setze mich ja nicht vor das Kind und sage: "Du weißt, ich bin deine Erziehungsberechtigte und muss dich pflegen. Deine Rechte sind, das zu nutzen und von mir beschützt zu werden." Aber es ist schon sehr viel getan, wenn wir Kindern zuhören und erfassen, was sie bewegt.

STANDARD: Gibt es oft auch Missinterpretationen dieses Schutzes?

Kobesova: Es gibt viele Erziehungsberechtigte, die so sehr auf ihre Aufsichtspflicht pochen, dass der Schutz in ein übertriebenes Sicherheitsdenken übergeht. Man sagt dem Kind zum Beispiel, es solle nicht auf Bäume klettern, weil es runterfallen könnte. Wenn das dann tatsächlich passiert, weiß das Kind nicht, wie man eigentlich fallen soll, damit man sich nichts bricht. Das Sicherheitsdenken hat den Anspruch, alles mit einer negativen Auswirkung auszuschließen. Dieser Anspruch ist nicht einlösbar.

STANDARD: Das sind jetzt kleine Beispiele, die das veranschaulichen. Aber man muss schon sagen, dass noch viel größere Ungerechtigkeiten gegenüber Kindern stattfinden.

Kobesova: Wenn wir von Kindersoldaten, Kinderhandel oder schweren Misshandlungen sprechen, kann man das natürlich nicht mit der Frage vergleichen, ob ein Kind seine Schultasche selbst tragen sollte. Beispielsweise stellt sich die Frage der Kinderarbeit in Österreich anders. In Bolivien und Peru gibt es Kinder, die in Ziegelfabriken arbeiten und für eigene Gewerkschaften kämpfen und diese gründen.

STANDARD: Sie organisieren auch Veranstaltungen, um auf Kinderrechte aufmerksam zu machen. Wie lässt sich Ihre wissenschaftliche Arbeit mit Aktivismus vereinen?

Kobesova: Ich würde meine Arbeit nicht unbedingt als Aktionismus bezeichnen. Nur weil eine neue Regelung verabschiedet wird, verschwinden gesellschaftliche Fragen und Probleme nicht einfach. Bildungswissenschaftliche Expertise ist wichtig, um Entscheidungen zu treffen, die das Schulsystem betreffen, aber sie kann auch Diskurse anregen. Ich habe zum Beispiel Personen getroffen, die sich im Anschluss an diese Kinderrechtsthematik gefragt haben, ob sie ihrem Kind wirklich sagen können, es soll jetzt den Geschirrspüler ausräumen. Meine Arbeit geht über Aktivismus hinaus und ist vielleicht eine Art, darauf hinzuweisen, mit welchen Fragen wir uns mehr beschäftigen sollten. (Katharina Kropshofer, 12.7.2018)