Das kommende Schuljahr bringt mit der Einführung der Deutschförderklassen eine einschneidende Veränderung in der Sprachförderung an österreichischen Schulen. Als Fachverbände, Interessensvertretungen und als Forschende und Lehrende an Schulen, Hochschulen und Universitäten in Österreich möchten wir unsere zentralen Einschätzungen und Forderungen in Erinnerung rufen und auf Ihre Einwände, sehr geehrter Herr Bundesminister Faßmann, gegen die Kritik an den Deutschförderklassen eingehen.

Foto: APA/dpa/Armin Weigel

Kein "Weiter so"

Wir haben in unseren Stellungnahmen und Wortmeldungen niemals gefordert, dass an der bestehenden Praxis der Deutschförderung nichts geändert werden soll. Sie suggerieren mit der Überschrift in Ihrem Gastkommentar in der "Presse" vom 7. Juni 2018 – "Deutschförderung: ‘Weiter so’ hilft nicht weiter" – genau dies und unterstellen allen Kritikerinnen und Kritikern der Deutschförderklassen, dass sie keine Notwendigkeit für Verbesserungen sehen. Ganz im Gegenteil!

So schreiben etwa eine Reihe von Expertinnen und Experten, die an Pädagogischen Hochschulen und Universitäten tätig sind, in einem Brief an Sie vom 20. April 2018: "Wir begrüßen grundsätzlich den Versuch einer Verbesserung der Sprachförderung an österreichischen Schulen und erachten Maßnahmen zur Erhöhung der Kompetenz von Schülerinnen und Schülern in der Bildungssprache Deutsch für essentiell im Hinblick auf erfolgreiche Bildungslaufbahnen und mehr Chancengerechtigkeit im Bildungssystem." Wir fordern dringend Verbesserungen und einen Ausbau der Maßnahmen zur Deutschförderung, allerdings auf einer soliden Basis, mit einem sinnvollen zeitlichen Rahmen für die Entwicklung nachhaltiger Konzepte und unter Einbeziehung der Wissenschaft, der Schulleitungen, der Eltern, der Lehrerinnen und Lehrer und der Schülerinnen und Schüler.

Vom Sprachenlernen als Schwimmen

Seriös argumentierende Expertinnen, Experten, Lehrerinnen, Lehrer oder Schulleiterinnen und Schulleiter haben niemals behauptet, es würde reichen, Lernende "ins Sprachbad der Einheimischen" tauchen zu lassen, damit sie die Mehrheitssprache Deutsch lernen. Der Vergleich mit dem Schwimmenlernen hinkt nicht nur, er ist unseriös und polemisch, besonders gegenüber jenen, die differenziert und auf der Basis internationaler und nationaler Forschung Kritik an der Einführung der Deutschförderklassen geübt haben.

Selbstverständlich genügt es nicht, Kinder oder Jugendliche, deren Deutsch noch nicht ausreichend ist, um dem Unterricht folgen und mit den Mitschülerinnen und Mitschülern auf Deutsch kommunizieren zu können, einfach in die Klasse zu setzen. Selbstverständlich brauchen sie Unterstützung und Begleitung durch sehr gut ausgebildete Sprachförderlehrkräfte und mitunter ist es auch notwendig und sinnvoll, dass sie zusätzlichen Deutschunterricht erhalten.

Aber die Forschung zeigt, dass vorwiegend integrative Modelle mit fallweise zusätzlichen Angeboten erfolgversprechender sind als Modelle, in denen Kinder und Jugendliche vorwiegend nicht-integrativ gefördert werden (siehe Stellungnahme von Forschenden und Lehrenden aus dem Bereich Deutsch als Zweitsprache vom 25. Jänner 2018). Vor allem zeigen erfolgreiche Modelle für den Erwerb der jeweiligen Bildungssprache, dass möglichst kleine Gruppen, möglichst gut ausgebildete Lehrkräfte und ein insgesamt sprachlernförderliches und sprachenfreundliches Schulklima wesentliche Erfolgsfaktoren sind. Bisherige erfolgreiche Modelle wurden von engagierten Lehrkräften, Schulleiterinnen, Schulleitern und Eltern teilweise mit zusätzlicher sozialpädagogischer Unterstützung getragen. Das verwendete Bild der "Nichtschwimmer" degradiert und verfehlt die Ergebnisse jahrelanger Arbeit vieler Menschen und die Ergebnisse jahrelanger Forschung.

Unter Ideologieverdacht

Als Wissenschafter wissen Sie um die Wirksamkeit des Ideologievorwurfs in wissenschaftlichen Kontroversen. Dieser Vorwurf wird oft in Ermangelung von Argumenten erhoben. Er ist kein Argument, er ist ein Werkzeug zur Abwertung und zum Ausschluss aus der Diskussion. Damit können unliebsame kritische Positionen als nicht ernstzunehmend und unwissenschaftlich diskreditiert werden. Die APA zitiert Sie am 11. Juni 2018 mit der Aussage, dass Sie nun "von der Ideologie zurück zur Realität" möchten. Und auch im "Ö1-Morgenjournal um 8" vom 9. Juni 2018 bezeichnen Sie Kritik an den Deutschförderklassen als ideologisch motiviert. Wir verwehren uns gegen diese Art der pauschalisierenden Diskreditierung wissenschaftlich fundierter Kritik. Wir haben uns mit den Deutschförderklassen stets sachlich und differenziert auseinandergesetzt und ersuchen Sie, sich diesen Gepflogenheiten einer von gegenseitiger Wertschätzung getragenen Diskussion nicht zu entziehen.

Schulautonomie ernst nehmen

Wir unterstützen nachdrücklich die Forderung nach der Ausweitung schulautonomer Handlungsspielräume für die Gestaltung von Sprachfördermaßnahmen, wie sie jüngst auch von über 300 Schulleiterinnen und Schulleitern österreichweit gefordert wurde. Gemeinsam mit der Plattform für die schulautonome Umsetzung von Sprachfördermaßnahmen und dem Aktionsbündnis Bildung weisen wir darauf hin, dass mit einer einheitlichen Regelung für alle Schulstandorte bestehende gute Praxis und damit über viele Jahre aufgebaute Expertise an einzelnen Schulen zerstört wird. Angesichts der äußerst unterschiedlichen Voraussetzungen und Möglichkeiten können vor allem schulautonome Lösungen zu sinnvoller und nachhaltiger Deutschförderung führen.

Dass nun ein Kompromiss erzielt wurde und "jene Schulstandorte, die eine Umsetzung der Deutschklassen aus organisatorischen und strukturellen Gründen nicht schaffen" eine Ausnahme zugestanden wird (ORF Wien, 25. Juni 2018), ist eine erfreuliche Entwicklung. Allerdings bleibt das Problem bestehen, da nicht nur "organisatorische und strukturelle Gründe" für schulautonome Lösungen sprechen, sondern gerade auch pädagogische und sprachdidaktische. Wir plädieren daher nachdrücklich dafür, die Weiterführung guter Praxis an einzelnen Schulen dadurch zu ermöglichen, dass mehr Spielraum für schulautonome Lösungen geschaffen wird. Dafür sind auch entsprechende Ressourcen seitens des Bildungsministeriums zur Verfügung zu stellen. Wir brauchen bessere Rahmenbedingungen und mehr Stundenkontingente und Stellen für qualifizierte Sprachförderung an unseren Schulen.

Gute Praxis sichtbar machen

Im "Leitfaden für Schulleiterinnen und Schulleiter" zur Umsetzung der Deutschförderklassen heißt es völlig zurecht: "Viele Schulen führen seit zahlreichen Jahren erfolgreich Deutschförderung durch" (Deutschförderklassen und Deutschförderkurse. Leitfaden für Schulleiterinnen und Schulleiter 2018, 5). Gute Praxis gilt es sichtbar zu machen, um darauf aufbauen und Maßnahmen zur Sprachförderung weiterentwickeln zu können. Fördern Sie Forschung in diesem Bereich, damit die Wirksamkeit bestehender Modelle, die von Schulleiterinnen, Schulleitern, Lehrerinnen und Lehrern über viele Jahre aufgebaut und erprobt wurden, dokumentiert und wissenschaftlich belegt werden kann. So könnten die Erfahrungen und die Expertise auch von anderen Schulen genutzt und in einem internationalen Zusammenhang positioniert werden.

Sprachliches Lernen in allen Fächern

Wir begrüßen ausdrücklich, dass in den Eckpunkten für die neuen Lehrpläne für Deutschförderklassen und Deutschförderkurse die Verschränkung von sprachlichem und fachlichem Lernen vorgesehen ist. Sprachliches und fachliches Lernen zu verschränken und auf die individuellen Sprachlernbedarfe und die vorhandenen Ressourcen einzugehen, ist für eine möglichst rasche und nachhaltige Aneignung von bildungsrelevantem Deutsch und eine folgende Chancengerechtigkeit unerlässlich. Damit diese Verschränkung gewährleistet und bestmöglich erfolgen kann, brauchen wir eine Intensivierung der Fortbildung von Sprachförderlehrkräften und einen massiven Ausbau der Fort- und Weiterbildung für Lehrkräfte aller Unterrichtsgegenstände sowie aller Bildungseinrichtungen zu sprachsensiblem Unterrichten.

Abschließend wiederholen wir nachdrücklich unsere Bereitschaft, unsere wissenschaftliche Expertise unter angemessenen Rahmenbedingungen einzubringen. Wir beteiligen uns sehr gern, wenn es um die koordinierte Erarbeitung eines wissenschaftlich fundierten, empirisch belegten sowie umfassenden Konzepts zur Sprachförderung und Sprachlichen Bildung im österreichischen Schulsystem geht. (Beatrice Müller, Sandra Reitbrecht, Hannes Schweiger, 6.7.2018)