Es wäre zu billig, und man will auch niemanden respektlos behandeln. Aber es kommt jetzt möglicherweise doch der Zeitpunkt, an dem man sich um den persönlichen Zustand von Horst Seehofer Sorgen machen muss. Glaubt man das? Im neuen "Spiegel" verweist der CSU-Chef und deutsche Innenminister darauf, dass "die Sache" durchaus wieder von vorn losgehen könnte.

Wenn nämlich keine bilateralen Verträge ausgehandelt werden können, müsste er doch beginnen, Flüchtlinge an der Grenze direkt zurückweisen. Man mag es nicht glauben. Denn eigentlich möchte man schreien: Genug jetzt von diesem Zirkus!

Eine Woche ist in der deutschen Politik vergangen, die noch sehr lange in sehr unguter Erinnerung bleiben wird. Man erinnere sich: Noch vor sieben Tagen hatte Seehofer getönt, er werde bald mit Zurückweisungen an der deutsch-österreichischen Grenze beginnen – koste es, was es wolle.

Aber er hat sich wieder einmal verzockt und nicht mit dem unglaublichen Beharrungsvermögen von Angela Merkel gerechnet. Bekommen hat er statt seines nationalen Alleingangs "Transitverfahren", nicht einmal "Transitzentren". Der Unterschied ist nicht bloß ein sprachlicher. Verfahren klingt dynamischer und damit besser als Zentren, die viele in dieser hocherhitzten Debatte im Geiste schon mit Stacheldraht versehen haben.

Nun geht es auch "nur" noch um jene Flüchtlinge, die schon in einem anderen EU-Staat ein Asylverfahren beantragt haben, und nicht um jene, die erst registriert worden sind – also um höchstens fünf Fälle pro Tag, wie Seehofer selbst sagt. Im Jahr wären das also 1825. Und dafür all dieser Zirkus, die Volten, Drohungen, der Druck, die persönlichen Verwerfungen?

Es war schlechter Stil vom Unfeinsten, der da zu betrachten war – und zugleich ungemein entlarvend. Das möchte man mal erleben, dass sich Seehofer noch einmal für 1825 Personen so ins Zeug wirft, inklusive Rücktrittsdrohung. Vielleicht für 1825 Alleinerziehende oder ebenso viele/wenige Mindestrentner oder Behinderte. Darauf braucht man nicht zu warten, all seine verbliebene Kraft hat er ja nur deshalb in dieser Angelegenheit verwendet, weil er vor der Bayern-Wahl ein Signal setzen wollte.

Man kann es niemandem verdenken, der nach dieser Woche sagt: Ich habe die Nase voll von Politik. Was das für die die Demokratie bedeutet, kann sich jeder selbst ausrechnen.

Bedauerlicherweise ist die Angelegenheit ja noch nicht ausgestanden. Seehofer muss jetzt für die bilateralen Abkommen sorgen. Er hält sich für besonders listig und erklärt bereits, bei so einer komplexen Materie müssten am Ende wohl die Regierungschefs – also Angela Merkel – selbst ran. Doch die schießt den Ball sofort zu ihm zurück, mit dem Hinweis, jetzt sei mal der Minister dran.

Immerhin eine Partei, die es wahrlich brauchen kann, vermochte in dem ganzen Wahnsinn ein wenig punkten, und das ist die SPD. Sie war in den vergangenen Monaten seit dem Rückzug von Martin Schulz ja ab- sowie niedergeschrieben worden und schaffte es nicht zurück aufs Spielfeld.

Doch beim Asylstreit zeigte sich: Es war Fraktions- und Parteichefin Andrea Nahles, die Ordnung ins Chaos brachte. Als sie eingriff, gelang die Einigung plötzlich überraschend schnell. Das ist natürlich auch eine Ohrfeige für Merkel, die jederzeit fürchten muss, dass ihr die CSU wieder die Brocken vor die Füße wirft. (Birgit Baumann, 6.7.2018)