Vermummte Frauen demonstrierten für Frauenrechte vor Beginn der San-Fermín-Feiern.

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Bei der Stierhatz in Pamplona wurden bis Sonntag fünf Menschen verletzt.

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Pamplona feiert San Fermín und das damit verbundene Stiertreiben. Kaum jemand, der in der spanischen Stadt nicht eine weiße Hose und ein weißes Shirt trägt und einen roten Schal um die Hüfte gebunden hat.

Die zehn jungen Frauen, die neben der Stadtmauer auf dem Boden sitzen, machen, was alle Cliquen und viele Familien tun. Sie warten auf den "Txupinazo", den Feuerwerksknall zum Festbeginn. Sie sitzen zusammen, essen und trinken. "Las Shulas" – die kessen Gören – nennen sie sich.

Blick auf Pamplona

Heuer reden alle über das Gleiche, die sexuellen Übergriffe und wie sie verhindert werden können. So auch Las Shulas. "Wir wollen auch als Frauen das Fest genießen, frei und ohne Angst", sagt die 22-jährige Silvia Navarrete. Die Volksschullehrerin trägt ein weißes Shirt mit einer großen roten Hand. "Pamplona frei von sexistischen Übergriffen" ist darauf auf Baskisch und Spanisch zu lesen. Es ist das Symbol, das überall an den Wänden prangt und die Eingangstüren der meisten Bars schmückt.

Ganz Spanien schaut auf Pamplona, seit dort vor genau zwei Jahren in der ersten Nacht des Festes eine 18-Jährige aus Madrid von fünf jungen Männern in einem Treppenhaus brutal vergewaltigt wurde. "La Manada" – das Rudel – nennt sich die Gruppe, die aus Südspanien mit diesem Vorsatz angereist war. Sie filmten ihr Verbrechen mit Handys.

"Rudel" freigelassen

"Sie wurden nur wegen Missbrauchs und nicht wegen Vergewaltigung verurteilt", schimpft die Clique. Die fünf legten gegen die neun Jahre Haft Einspruch ein und wurden vor wenigen Wochen bis zum endgültigen Gerichtsentscheid auf freien Fuß gesetzt. Überall in Spanien kam es zu spontanen Großdemonstrationen gegen die "Macho-Justiz". So auch in Pamplona. Natürlich waren Las Shulas dabei.

In den sozialen Netzwerken riefen Frauen im restlichen Spanien dazu auf, dieses Jahr als Zeichen des Protestes statt in Weiß in Schwarz auf dem Fest in Pamplona zu erscheinen. Doch was im Vorfeld für Schlagzeilen sorgte, wurde von niemandem befolgt. "Hier lehnen das alle ab", erklärt Navarrete. "Wir wollen unser Fest feiern und nicht Trauer tragen", fügt sie hinzu.

Die Frauenbewegung in der Stadt und die Peñas, die 16 Festvereine in unterschiedlichen Stadtteilen, gaben gar ein Kommuniqué dagegen heraus. "Dieser Aufruf ignoriert unsere Arbeit", heißt es. Die Frauenbewegung, die Stadtverwaltung und die Peñas arbeiten seit Jahren für ein Fest ohne sexistische Übergriffe.

Notrufnummer der Frauenbewegung

"Die Straße und San Fermín gehören auch uns Frauen", sagt Navarrete. Las Shulas reden von Vorsichtsmaßnahmen, wie zum Beispiel in den frühen Morgenstunden nicht alleine durch die Stadt zu gehen. "Wenn du Hilfe brauchst, kannst du dich an jeden Kellner wenden. Die Bevölkerung in Pamplona ist sehr sensibel gegenüber dem Thema", ist sich Navarrete sicher. Alle aus der Clique haben die Notrufnummer von Gora Iruñea gespeichert.

Es handelt sich dabei um ein Service, das auf eine Initiative der Frauenbewegung und Bürgerinitiativen zurückgeht. "Bei jedem Fest, nicht nur San Fermín, ist das Telefon rund um die Uhr besetzt. Seit fünf Jahren machen wir das", sagt Zuriñe Altable. Die 37-jährige Akustikerin wartet – zusammen mit ihrer Familie – beim Essen in einer Bar auf den Festbeginn. "Wenn ein Anruf eingeht, vermitteln wir die Frau je nach Schwere des Übergriffs weiter und begleiten sie, falls sie es wünscht", sagt Altable. "Seit drei Jahren haben auch die Stadtverwaltung und die Regierung der Region Navarra eigene Protokolle, um gegen sexuelle Übergriffe vorzugehen", sagt sie und lobt die Zusammenarbeit. Doch für viele Frauen sei es leichter, bei einer Hotline der sozialen Bewegungen anzurufen, als direkt bei der Polizei.

Handy-App gegen Übergriffe

1,5 Millionen Besucher zählt die 200.000-Einwohner-Stadt dieser Tage. 22 Übergriffe wurden im Vorjahr angezeigt. In der Stadtverwaltung arbeiten gleich zwei Fachbereiche dagegen an. Der Bereich "Sicherheit" kümmert sich um die 2900 Polizisten, die im Einsatz sind. Eine Handy-App wurde vor wenigen Tagen vorgestellt. Wird eine Frau belästigt, kann sie damit die Polizei benachrichtigen. Wer doch einmal alleine durch die nächtlichen Straßen gehen will, kann von Freunden per App in Echtzeit "digital begleitet" werden. Passiert etwas, können die Freunde die Polizei alarmieren.

Im Fachbereich "Gleichstellung" werden die Informationsarbeit und die Betreuung von Opfern organisiert. Die rote Hand als Pin und Aufkleber sowie zehntausende Broschüren, die erklären, was alles sexuelle Gewalt ist und wie dagegen vorgegangen werden kann, werden im Stadtzentrum verteilt. In langen Schlangen stehen die Festbesucher an.

"Für die Opferbetreuung haben wir eigens eine Gruppe aus Anwältinnen, Psychologinnen und Sozialarbeiterinnen, die rund um die Uhr im Einsatz sind", sagt Ana Díez. Die 54-jährige Beamtin koordiniert all das und die Zusammenarbeit mit sozialen Bewegungen, Peñas und Bars.

"Keine Stadt ohne Gesetze"

"Eigentlich wollte ich nicht über den Fall der La Manada reden", sagt Díez und tut es dann doch. Denn genau diese Gruppenvergewaltigung, die für Schlagzeilen sorgte wie kein anderer Übergriff, zeige, wie die Maßnahmen ineinandergreifen. "Die Vergewaltigung fand um drei Uhr in der Früh statt. Das Opfer erstatte Anzeige. Dank der Überwachungskameras verhaftete die Polizei die fünf Männer kurz nach acht Uhr beim Stiertreiben und brachte sie ins Gefängnis. Und das in einer Stadt, in der alle weiß gekleidet sind", sagt Díez. "Pamplona ist keine Stadt ohne Gesetz, wie uns die Presse gerne beschreibt."

Die Gemeindeverwaltung stellte dem Opfer einen Rechtsbeistand und psychologische Hilfe. Außerdem traten Stadt und Regionalregierung im Verfahren als Nebenkläger auf. Noch am gleichen Nachmittag fand eine Großdemonstration gegen sexuelle Übergriffe statt, an der alle Peñas, egal ob fortschrittlich oder konservativ, teilnahmen. "Prävention und Antwort" nennen sie im Rathaus diese Strategie.

Die 16 Peñas sind das Herzstück von San Fermín. Die 20-jährige Eunate Orkin gehört seit frühester Kindheit der "Irrintzi Peña" in der Altstadt an. Deren Mitglieder ziehen jeden Nachmittag mit Blasmusik zur Stierkampfarena. "Vorneweg tragen wir ein Transparent", sagt Orkin, die Fotografie studiert. Eine Comiczeichnung beschäftigt sich mit aktuellen Themen. "Bei uns geht es um die Korruption", sagt Orkin. Was ihr besonders wichtig ist: "Dieses Jahr sind alle Transparente auf der Rückseite lila, als Zeichen der Unterstützung der Frauen."

Bis zum 14. Juli steht Pamplona noch im Zeichen des San Fermín. Die Aufklärungs- und Präventionsarbeit sowie die Hilfe für Opfer von sexueller Gewalt werden in der nordspanischen Stadt dann aber nicht mit den Touristenmassen verschwinden. (Reiner Wandler aus Pamplona, 8.7.2018)