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Darf ich spielen, oder bleibe ich draußen? Das fragen sich oft international relevante Jazzmusiker. Beim Jazzfest Wien sind sie selten zugegen.

Foto: Reuters

Wien – Ob es nun das exzellenteste Jazzfestival Europas ist oder das allerschlechteste – darüber herrscht seit jeher ein heiter-hitziger Disput. Der reife Crooner Louie Austen dankte unlängst Festivalmacher Fritz Thom auf offener Staatsopernbühne jedenfalls für das "beste Festival in der besten Stadt". Der Nestor unter den Barsängern, auch nicht zum ersten Mal beim hier gemeinten Jazzfest Wien, hat das sicher ehrlich gemeint. Sein Wiederholungsauftritt in der Staatsoper erschien auch ihm womöglich als unerwartet vorgezogenes Weihnachtsgeschenk.

Ob es nun das beste oder das schlechteste Festival Europas ist, das Jazzfest Wien bewies heuer jedenfalls wieder einmal, dass es nicht nur durch exzentrische Besonderheiten auffällt. Es begann am 15. Juni mit dem ehrwürdigen Sänger Kris Kristofferson, um sich sogleich für zehn Tage in den Urlaub zu verabschieden und danach im Jazzland wieder aufzutauchen. Diese Pause ist tatsächlich ein individuelles Erkennungsmerkmal, zu dem sich eine andere Köstlichkeit kuschelt: Schon seit Jahren werden – statt mit einer Pressekonferenz die Pläne stolz zu präsentieren – Programmpunkte nur mit knappen Aussendungen häppchenweise und schüchtern bekanntgegeben. Seltsam.

Keine Diskussion

Es entsteht fast der Eindruck, hier wäre jemand am liebsten unsichtbar, obwohl er doch seit langem das größte Festival der Hauptstadt ausrichten darf. Es mutet auch an, als wollte man sich diese – alle paar Jahre wieder ausbrechenden – Diskussion um Struktur und Qualität des Festivals ersparen. Die diesjährige Ausgabe zeigt wieder deutlich jene offenbar chronischen Defizite des Festivals: Es ist evident, dass das Jazzfest konsequent einen Bogen um vieles macht, was im Jazz international gerade relevant oder zumindest in relevanter Diskussion ist. Kein Künstler in der Kategorie eines John Zorn oder Joshua Redman ist da, keiner von der Qualität eines Pianisten wie Brad Mehldau. Und schon gar kein Kamasi Washington: Der Saxofonist, der auch im Popbereich gerade en vogue ist, wäre eine Präsentation wert gewesen. Die Liste wäre endlos.

Wiederkehr derselben Namen

Diese Abwesenheiten rühren nicht nur von Ideen- und Mutlosigkeit, sondern sicher auch von räumlichen Zwängen des Festivals – etwa den üppigen Ausmaßen der mit Stolz bespielten Wiener Staatsoper. Dieses Haus ist ja nur mit kommerziell arrivierten Namen zu füllen. Und solch Vorgabe führt unweigerlich zur signifikanten Wiederkehr derselben Namen, wenn man schon keine Konzeptideen zum Einsatz bringt: Sänger Thomas Quasthoff war nun zum vierten Mal beim Jazzfest. Und auch Sängerin Melody Gardot wird langsam zu jenem Stammgast, der in früheren Jahren etwa Pianist Dave Brubeck war.

Der König auf dem Karussell der Wiederkehr – Sänger Bobby McFerrin – hat immerhin pausiert. Und nichts gegen all diese Künstler! Sie sind über Qualitätszweifel erhaben. Ihre signifikant hohe Anwesenheit ist aber das Symptom jener strukturellen Falle, in der sich das Festival befindet. Das Essenzielle wird zu oft durch Kommerzielles ersetzt. Kleine Schwerpunkte im Jazzland und Pogy & Bess geraten zur Festivalfußnote. Angesichts des sonst Gebotenen und Angepriesenen – als Special Guest war etwa bei einem Opernkonzert heuer die deutsche Moderatorin Barbara Schöneberger zugegen – wirken die kleinen Gigs nur als Alibi.

Verstärkte Musik

Auch nichts gegen Pop und Soul beim Jazzfest, nichts gegen Stilbuntheit. So interessant jemand wie Cee-Lo Green als erstmaliger Besucher sein kann, so wenig zwingend war der Auftritt von Sängerin Caro Emerald, welche den Reigen der Staatsopernkonzerte eröffnete. Das war netter Mainstreampop, der eine Swingperücke trug und weder nach Jazz- noch Popkriterien zwingend engagiert werden musste. Hinzu kommt immer wieder auch der Beweis, dass die Staatsoper kein Raum der verstärkten Musik ist. In einem diffus tobenden Breisound wurde denn auch schon manche Größe unter ihrem Wert geschlagen.

Keine Dramaturgie

In Summe schreit das Festival wieder nach Strukturanalyse und mehr Sorgfalt bei der Auswahl der Acts: Warum nicht mehr Museumsquartier (in mehreren Räumen) und weniger Staatsoper? Warum keine Dramaturgie, keine Schwerpunkte oder thematisch durchdachten Konzertreihen? Hm. Dem Festival fehlt Charakter. Die Staatsoper lässt es nur äußerlich und nicht inhaltlich groß erscheinen. Das Jazzfest Wien wirkt, als wollte es nur ein imaginäres Zelt sein, das es zu füllen gilt.

So gäbe es einiges zu überdenken für die Wiener Kulturpolitik. Tolle Abende wie jener mit Till Brönner und Dieter Ilg dürfen nicht Ausnahmen sein, sie müssen erwartbare Selbstverständlichkeit werden. Als große Kammermusik – ideal übrigens in der Staatsoper. (Ljubiša Tošić, 8.7.2018)