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Der Präsident und sein Parlament: Tayyip Erdoğan verfolgte am Samstag kurz von der Tribüne aus den Beginn der Vereidigung der nunmehr 600 Abgeordneten des türkischen Parlaments. Es hat nur noch eingeschränkte Befugnisse. Erdoğan wird am Montagnachmittag dort seinen Amtseid leisten.

AP

Der Amtseid trennt ihn und das Land noch vom Wechsel ins neue Regime: Tayyip Erdoğan, der 64-jährige, im Vormonat wiedergewählte türkische Staatspräsidenten wurde Montagnachmittag im Parlament in Ankara angelobt. Von 15.30 Uhr Ortszeit (14.30 Uhr MESZ) an ist die parlamentarische Demokratie in der Türkei zu Ende, das von Erdoğan seit Jahren angestrebte Präsidialregime beginnt.

Der Staatschef wird nach der Vereidigung zur üblichen Kranziederlegung im Mausoleum vom Mustafa Kemal Atatürk fahren. Erdoğan regiert nach 16 Jahren mittlerweile länger als der Republiksgründer.

Gewaltenteilung aufgeweicht

Offiziell ist die Türkei auch nach dem Verfassungswechsel eine säkulare Demokratie, wie sie 1923 unter Atatürks Führung gegründet wurde. Erdoğans Machtfülle ist nun aber auch rechtlich weitaus größer geworden. Die Verfassungskommission des Europarats sieht eine Aufweichung der demokratischen Gewaltenteilung von Exekutive, Gesetzgebung und Judikative.

In Erdoğans Präsidentenpalast in Ankara beginnt um 18 Uhr die Feier zur Amtseinführung. Für 21 Uhr ist eine Pressekonferenz des Präsidenten angesetzt, bei der er seine neue Regierung vorstellen und wohl das Ende des Ausnahmezustands verkünden wird. Mit einem letzten Notstandsdekret entließ Erdoğan am Wochenende weitere 18.000 Staatsbedienstete. Die Entlassungen werden im Einzelnen nicht konkret begründet. Vorgeworfen wird den Beamten aber in der Regel, der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen, eines ehemaligen politischen Verbündeten Erdoğans, anzugehören.

Schröder und Berlusconi

Bei der Zeremonie in der Palastanlage Beştepe am Rand von Ankara fehlen die Europäer und Amerikaner. Lediglich Ungarns Premier Viktor Orbán kommt. Griechenland schickt die ehemalige Außenministerin Dora Bakoyannis, der deutsche Ex-Kanzler Gerhard Schröder ist eingeladen sowie der ehemalige italienische Regierungschef Silvio Berlusconi, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Morgen. Brüssel schickt den EU-Kommissar für Migration, Dimitri Avramopoulos.

Ankaras Einlussbereich

Immerhin 50 Staats- und Regierungschefs sowie Parlamentspräsidenten kommen aber zu Erdoğans Amtsantritt. Unter ihnen sind der russische Premier Dmitri Medwedew, der pakistanische Präsident Mamnoon Hussain und Venezuelas autokratischer Präsident Nicolás Maduro, die Staatschefs der Nachbarländer Georgien und Bulgarien sowie jener Staaten und Regionen, die zum Einflussbereich der Türkei zählen: Vom Balkan reisen die Präsidenten des Kosovo, Mazedoniens, Serbiens und Bosnien-Herzegowinas sowie der albanische Premier an; aus Afrika kommen die Präsidenten des Sudan, von Djibouti, Somalia, dem Tschad, Mauretanien, Guinea, Guinea-Bissau, Gabun und Sambia sowie eine Reihe von Parlamentspräsidenten. Aus Zentralasien reist der kirgisische Präsident an, vom Golf kommt der Emir von Katar, Ankaras engster Verbündete in der Region. Der Irak schickt einen Vizepräsidenten.

Überschattet ist die Feier von einem schweren Zugunglück bei Çorlu im europäischen Teil der Türkei. 24 Fahrgäste starben, mehr als 70 wurden verletzt, als der Zug am Sonntagnachmittag entgleiste. (Markus Bernath, 9.7.2018)