Yara Lee, "Als ob man sich auf hoher See befände". € 22,- / 86 Seiten. Residenz-Verlag, 2018

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Die Sätze in diesem Buch haben ihre eigene Logik, und die ist zuweilen auch eigenwillig: "James weiß in dem Moment nur, dass er auf Marla zugehen muss, und geht deshalb auf Marla zu." So lernen die beiden einander in der Straßenbahn in Wien kennen und kurz darauf lieben. Eben deshalb. James ist Meeresbiologe, ein Globetrotter. Marla Maria ist Kunsthistorikerin, die "unnützes Wissen" liebt, eine kulturgeschichtliche Enzyklopädistin mit viel Sinn für Wortsinn, und davon bekommt der Leser auch genug ab.

Irrfahrt durchs Leben

Auf einer zweiten Ebene wird eine Familiengeschichte – eigentlich ein Bildungsroman in Kurzfassung – erzählt, angelegt als moderne Odyssee: Nach so viel Irrfahrt durchs Leben taucht plötzlich Marlas totgeglaubter Vater Ulysses auf, um in Pula sein Leben zu beenden. Dort geht er an der Statue von James Joyce vorüber, er sitzt im Café Sirena und begegnet einer Frau namens Kirke. Vor allem trägt das Motiv des Reisens und des Wassers die Handlung durchs Mythologische, der "menschenähnliche" Delfin wird zum leitmotivischen gemeinsamen Symbol der Vater- und der Tochter-Geschichte, die ja am Ende verbunden werden wollen, wie in einer griechischen Tragödie.

Dabei geht es nicht darum, warum die Geschichte so abläuft, hier wird auch nichts erklärt: Warum wurde dem Kind erzählt, die Eltern seien tot? Warum will der Vater erst einen Ort zum Sterben und dann die Tochter finden? Die Kapitelüberschriften deuten lediglich an: kurzgefasste Inhaltsangaben, wie ein knapper Kommentar. Man kennt das aus der Barockliteratur, aber auch aus Musils Mann ohne Eigenschaften. Das kommt nicht zufällig. Die Referenzen auf Literatur, bildende Kunst, Mythologie sind zahlreich, man könnte die Details zu einem großen Abendlandkomplex zusammensetzen, in dem jeder Lebensentwurf sein Beruhigendes hat: "Der Tod kommt sowieso, um das Leben auszugleichen."

Erstaunliche Leichtigkeit

Bei Yara Lee, die richtig Afamia Al-Dayaa heißt und in Dresden aufgewachsen ist, haben solche Sätze eine erstaunliche Leichtigkeit, sind locker, aber kontrolliert. So wie auch ihr Sprachwitz nie davonläuft: "Sorglose Frauen entblößten ihre Brüste. Alles frei und zügig, auch die Bilder: Zügig weiterziehende Wolkenbilder, ganze Züge darin erkennbar. Jemand nahm einen Zug von einer Zigarette." Das hat viel vom Tiefgang und der Leichtigkeit österreichischer Literatur, die lieber in sich versponnen bleibt, als den großen Wurf zu wagen.

Die Affinität der Autorin zu solcher Literaturtradition rührt wohl daher, dass sie Musikerin ist, seit 2011 in Wien lebt und hier auch Sprachkunst studiert hat. Das sieht man dieser Prosa auch an: Sie wirkt reduziert und erlaubt sich dennoch zu mäandern, sie ist unbekümmert und diszipliniert zugleich, originell, sprachakrobatisch, aber nie sprachverliebt. Ob der Verzicht auf Dramaturgie allerdings auf Dauer ratsam ist, muss sich zeigen. Aber diese Autorin hat Esprit, und ihre Literatur, die sich keine Kühnheit versagt, ist ein starkes Statement gegen das flotte Erzählen, das den Markt schon allzu lange beherrscht. (Gerhard Zeillinger, 12.7.2018)