Paolo Rumiz, "Die Seele des Flusses. Auf dem Po durch ein unbekanntes Italien". € 24,- / 288 Seiten. Folio-Verlag, 2018

Foto: Folio

Hinter dem Damm "klirrten Stahlwerke, furzten Schweine und donnerten Lkws", doch diesseits des Damms, auf dem stillen Fluss, zwischen meterhoher Ufervegetation, fühlte sich Paolo Rumiz "weit weg von allem ... wie auf dem Mekong oder dem Mississippi". Das ist die große Überraschung, die der Po über weite Strecken für den Triestiner Reiseschriftsteller bereithält: Folgt man dem Flusslauf vom Wasser aus, präsentiert er sich just in der Po-Ebene, also dort, wo die norditalienische "Industrielokomotive" am lautesten stampft, als so gut wie vergessener, wenig benutzter, ungeregelter Freiraum, dem das geschäftige Norditalien den Rücken zuwendet.

Unterwegs mit Kanu, Motorkahn und Segelboot

Trotz aller Unkenrufe, er werde sich auf seiner Po-Fahrt zu Tode langweilen und in Giftmüll untergehen, fand Rumiz – ein ebenso erfahrener wie weitgereister Flusswanderer – in dem großen Strom ein Abenteuer von 700 Kilometer Länge inklusive 1400 Kilometern Uferstrecke, die sich ihm als die "wildesten, einsamsten und freiesten auf der ganzen italienischen Halbinsel" zeigten. Von knapp unterhalb der Quelle bis zum verästelten Delta und zur Mündung in die Adria hat Rumiz den Po befahren – per Kanu, per Motorkahn und schließlich per Segelboot, abwechselnd begleitet von Freunden und Po-Kennern, die ihre jeweiligen Expertisen in das Unternehmen einbrachten.

Gesucht waren, nach Rumiz' explizitem Wunsch, Mythos und Legende des Po, die in seinem Reisebericht mit dem Titel Die Seele des Flusses aus viel bunteren Erzählfäden gestrickt sind als vermutet. Rumiz stößt nicht nur auf die erwarteten Spuren einer uralten Kulturlandschaft und auf ein rares Sammelsurium flussbewohnender Individualisten, sondern auch auf eine Art Wildwest-Fluss, auf dem sich – in dunkler Nacht – Drogenkuriere, Diebe, Schmuggler und illegale Welsfischer in Tarnoutfits ein Stelldichein geben, weil weder Polizei noch Carabinieri auf die Idee kommen, den Po in derselben Weise zu kontrollieren, wie das an Italiens Küsten alltägliche strenge Routine ist. Rumiz entdeckt den Po als das "perfekte Versteck".

Erzählfaden und Erzählfluss

Abgesehen davon weidet er sich an der Ruhe auf dem Fluss, paddelt über alte überschwemmte Dörfer und klettert auf rostige Industrieruinen, bekommt sein Boot per Kran über eine Staumauer gehoben, sinniert über die Kultur- und Mentalitätsgrenze, als die sich der Fluss zwischen Lombardei und Emilia-Romagna entpuppt, genießt zusammengekauert schreibend und mit einem Minimum an Ballast den "unvergleichlichen Schneckeneffekt kleiner Boote", zeltet auf Schotterbänken, hadert mit Millionen Mücken, findet in Liedkompositionen des Schriftstellers Italo Calvino die richtige Filmmusik zu seiner Flussreise und erfreut sich – wie vor ihm schon sein Triestiner Schriftstellerkollege und Donau-Biograf Claudio Magris – an dem "perfekten Erzählfaden", den Flusswasser von Natur aus darstellt.

Das erfreulich starrköpfige, wandlungsfähige Wesen des Flusses versetzt Rumiz, der stets mit vollem Körpereinsatz reist, in vielfältige Schwingungen. Seinen Erzählton könnte man als poetisch-hemdsärmelig bezeichnen. Die "Autorität der Schlange" Po, die trotz aller Bändigungsversuche stets "hinkriecht, wo es ihr passt", weckt schließlich auch in Rumiz den Wunsch, sich zu häuten – so wie es alle existenziellen Reisen tun. Die seine unternimmt Rumiz mit offenen Augen, liest alle Fundstücke am Flussufer auf, betrachtet und beschreibt sie und mäandert weit aus in Kulturhistorie, Literatur, Geschichte oder seine eigenen fantastischen Assoziationen. Schreibend lässt sich Rumiz auf dem Fluss treiben und reißt die, die ihm lesend folgen, gleich mit. (Julia Kospach, 11.7.2018)