Italiens Häfen sollen für Flüchtlingsankünfte gesperrt werden. Dagegen regt sich im Land Widerstand.

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Hunderttausende Italienerinnen und Italiener, darunter zahlreiche Prominente und Politiker, haben sich am Wochenende ein rotes Hemd oder T-Shirt angezogen – um ein Zeichen zu setzen "gegen das Ausbluten der Humanität, gegen den Zynismus der Angstmacher, die das Retten von Menschenleben zu einem Verbrechen erklärt haben", wie es in einem Aufruf des bekannten Anti-Mafia-Priesters Don Luigi Ciotti hieß. Der Protestaktion haben sich zahlreiche Bürgerinitiativen und Vereine angeschlossen; #magliettarossa ("#roteshemd") war auf Twitter der am häufigsten verwendete Hashtag in Italien.

Der große Erfolg der Protestaktion belegt, dass in Italien die Kritik und die Empörung über die vom rechtsradikalen Innenminister Matteo Salvini verfügte Hafensperre für NGO-Schiffe wächst. Denn die Blockade gegen die privaten Helfer und der gleichzeitige Rückzug der italienischen Küstenwache von der libyschen Küste haben tragische Folgen: Seit der Schließung der Häfen sind vor Libyen schon mehrere hundert Flüchtlinge ertrunken, darunter zahlreiche Frauen und Kinder. Viele Kinder würden von ihren Müttern vor der Überfahrt rot eingekleidet, in der Hoffnung, dass sie im Fall eines Schiffbruchs von den Rettern in den Fluten schneller erkannt würden, sagt Don Ciotti. Das habe ihn auf die Idee mit den roten Hemden gebracht.

Dabei will Salvini die Hafensperre weiter ausdehnen. Auch Schiffe der internationalen Mission sollen nicht mehr in italienische Häfen einlaufen dürfen, verkündete der Innenminister am Sonntagabend. Die entsprechende Forderung werde er beim Treffen der EU-Innenminister in Innsbruck in dieser Woche deponieren. "Nun werden auch in dieser Frage andere Saiten aufgezogen", erklärte Salvini.

EU-Schiffe betroffen

Der Auslöser für das neue Vorpreschen des rechtsradikalen Salvini war das irische Marineschiff Samuel Beckett, das am Sonntag im Hafen von Messina 106 gerettete Flüchtlinge an Land gebracht hatte. Das Schiff ist Teil der europäischen Mission "EU-Navfor Med / Sophia", die 2015 zur Bekämpfung des Schlepperwesens und des illegalen Erdöl- und Waffenhandels im Mittelmeer geschaffen wurde. Neben den "Sophia" -Schiffen patrouillieren auch Schiffe der europäischen Grenzschutzagentur Frontex im Mittelmeer. Auch diese "Themis-Schiffe" befinden sich im Visier Salvinis, da sie die Flüchtlinge in der Regel in Italien an Land bringen.

Salvini hat die Blockade der europäischen Schiffe einmal mehr ohne jede Rücksprache mit dem Koalitionspartner Cinque Stelle und Regierungschef Giuseppe Conte angekündigt. Und diesmal ließ die Reaktion einer düpierten Regierungskollegin nicht lange auf sich warten: "'EU-Navfor Med / Sophia' ist eine Mission, für die das Außen- und das Verteidigungsministerium verantwortlich ist, nicht das Innenministerium" , ließ Verteidigungsministerin Elisabetta Trenta von der Protestbewegung Cinque Stelle den Kollegen Salvini wissen. Die "Sophia"-Flotte unterstehe italienischem Kommando, "und das ist ein Grund, stolz zu sein", erklärte Trenta.

Kritik des UNHCR

Die Schließung der Häfen für die NGO-Schiffe ist in vergangenen Woche auch vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR kritisiert worden. "Seit in der Rettungszone vor Libyen nur noch die schlecht ausgerüstete libysche Küstenwache patrouilliert, ist die Wahrscheinlichkeit für Migranten, auf der Überfahrt zu sterben, von 1:38 auf 1:7 gestiegen", betonte Sprecherin Carlotta Sami in Rom. Damit ist sie so hoch wie nie zuvor. Sami erinnerte daran, dass im zentralen Mittelmeer seit Jänner mehr als 1.400 Menschen ertrunken seien und appellierte, die "drastisch reduzierten Rettungen" wieder auszuweiten.

Auch Chiara Tommasello hat am vergangenen Samstag ein rotes T-Shirt angezogen. Die 30-Jährige aus Reggio Calabria ist Mitglied des Kulturvereins Arci, der sich in der kalabrischen Stadt in Projekten zur Betreuung und Integration der Flüchtlinge und Migranten engagiert und die Protestaktion von Don Ciotti unterstützte. "Im ganzen Land herrscht eine feindselige Stimmung gegenüber Flüchtlingen, geschürt von der pausenlosen Hetze des Innenministers. Die Flüchtlinge, aber auch ihre Betreuer, werden von der Mehrheit der Bevölkerung als Personen wahrgenommen, die den Italienern etwas wegnehmen wollen", sagt sie.

Moderne Sklaven

Dabei würden die Migranten, wenn sie erst einmal eine Arbeitsbewilligung hätten, fast ausschließlich für Arbeiten angestellt, die kein Italiener mehr annehmen würde – in Süditalien als Erntehelfer. Auf den Plantagen von Apulien, Kalabrien, Kampanien und Sizilien schuften zehntausende zumeist aus Afrika stammende Einwanderer unter katastrophalen Bedingungen für einen Hungerlohn als eine Art moderne Sklaven – ohne sie würden die Orangen, Mandarinen, Tomaten, Kiwis und Oliven an den Bäumen und Sträuchern verfaulen. (Dominik Straub aus Rom, 9.7.2018)