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Emmanuel Macron auf dem Weg zu seiner Rede.

Foto: Reuters/Platiau

Europa bräuchte gerade jetzt einen starken französischen Präsidenten: außenpolitisch, um der amerikanischen Dampfwalze Paroli zu bieten, im Inneren, um dem Aufwind demagogischer Populisten zu begegnen. Doch Emmanuel Macron gerät im Élysée-Palast gut ein Jahr nach seiner Wahl in die Defensive. In einer neuen Umfragen ist seine Popularität binnen Monatsfrist von 40 auf 34 Prozent gesunken. Nach zahlreichen Linkswählern, die schon vor einiger Zeit auf Distanz gegangen sind, kehren offenbar auch gemäßigte Konservative dem 40-jährigen Staatschef den Rücken. So zahlreich die lancierten Wirtschaftsreformen sind, so lange lassen die Resultate auf sich warten. "Der Optimismus der Franzosen hat sich verflüchtigt", urteilt die Zeitung "Le Monde" lapidar.

Noch kürzer ließe sich die Situation des so strahlend gewählten und so energisch zur Tat geschrittenen Jungpräsidenten umschreiben: Der Glanz ist weg. Ein anonym bleibender Abgeordneter der Macron-Partei La République en Marche (LRM) – die im Parlament die absolute Mehrheit hat – meinte am Wochenende selbstkritisch: "Die Franzosen sehen ein liberales Projekt, das nur einigen wenigen zugute kommt." Und was Macrons Stil anbelangt, "sehen sie eine vertikale, manchmal brutale Machtausübung".

Einberufung nach Versailles

Als wollte Macron die Bestätigung liefern, berief er die 577 Abgeordneten der Nationalversammlung und die 348 Senatoren am Montag auf eher autokratische Art ins Schloss Versailles ein. Die Verfassung erlaubt ihm dies erst seit zehn Jahren; die Vorgänger Nicolas Sarkozy und François Hollande hatten nur je einmal davon Gebrauch gemacht. Macron trat am Montag schon zum zweiten Mal an diesem symbolträchtigen Ort auf, um den beiden Parlamentskammern seine Politik zu erklären.

Schon im Vorfeld hagelte es Kritik. Einzelne Konservative blieben der Rede gar demonstrativ fern, weil sie die Organisationskosten von 268.000 Euro für den halbtägigen Parlamentsumzug für überzogen halten. Die grüne Senatorin Esther Benbassa twitterte: "Ich leiste der Vorladung eines Prinzen, der bloß das Parlament erniedrigen will, keine Folge."

Jean-Luc Mélenchons "Internetdemo"

Die linken "Unbeugsamen" boykottierten "Seine Majestät Macron I." wegen seines Verstoßes gegen die Gewaltentrennung: Der Wahlmonarch habe dem Parlament nicht ins Gewissen zu reden, meinte Linken-Chef Jean-Luc Mélenchon, der am Montag eine "Internetdemo" gegen Macron organisierte.

Macron, der gleich nach seiner Rede abreiste, kündigte als Antwort an, er wolle die Verfassung ändern, um der nachfolgenden Kongressdebatte folgen und darauf antworten zu können. Damit geht er allerdings nicht so weit wie der Deutsche Bundestag, wo sich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel unlängst einer lebhaften Fragestunde gestellt hatte. Der französische Präsident will sich nicht zu einem eigentlichen Dialog herablassen, sondern höchstens indirekt auf Fragen antworten – und sich das letzte Wort reservieren.

Zweifel und Demut

Macron versuchte auch, der Kritik an seinem abgehobenen und selbstherrlichen Führungsstil die Spitze zu nehmen. Er räumte persönliche "Zweifel" ein, versprach mehr "Demut" und meinte, er könne zwar nicht alles tun, aber er wolle sich bemühen, alles Versprochene einzuhalten. In der Sache hält er an seinem Reformkurs fest. "Wir brauchen eine solide Wirtschaft und mehr Investitionen – aber nicht, um die Reichen zu begünstigen, sondern die Unternehmen", dozierte Macron, der häufig als "Präsident der Reichen" apostrophiert wird.

Zugleich räumte Macron ein, dass in Frankreich ein "soziales Risiko" bestehe. Der verbreiteten Armut im Land sagte er den Kampf an. Er kündigte einige Sozialmaßnahmen an, darunter die Halbierung der Schülerzahl in einzelnen Banlieue-Klassen. Auch bestätigte er, dass er die lange angekündigte und höchst umstrittene Rentenreform im nächsten Jahr durchziehen wolle. Ob nach sozialem oder liberalem Muster, ließ er indes offen.

In einer Redaktion meinte der ehemalige Verfassungsgerichtspräsident Jean-Louis Debré auf die Frage, ob er von dem Präsidenten enttäuscht sei, sehr vielsagend: "Ich will nicht enttäuscht sein." Die soziale Lage bleibe in Frankreich gespannt und stelle selbst für Macron eine Gefahr dar. Der Präsident wiege sich zu Unrecht in Sicherheit, weil sowohl die rechte wie auch linke Opposition nur noch ein Schatten ihrer selbst seien, führte Debré aus. "Und da es in Frankreich kaum mehr parlamentarische Gegenkräfte gibt, könnten sich die Leute der radikalen Opposition zuwenden." (Stefan Brändle aus Paris, 9.7.2018)