Das EU-Austrittsvotum der Briten vor zwei Jahren stellte sehr viel mehr dar als eine Absage an die europäische Einigung. Viele Wählerinnen und Wähler, eine knappe Mehrheit, wollten auch der politischen Klasse einen Denkzettel verpassen. Wer damals den Menschen zuhörte, konnte nicht daran zweifeln: Die Wut richtete sich gegen London mindestens so sehr wie gegen Brüssel.

Als Folge der tiefgehenden Umwälzung erhielt Theresa May vor zwei Jahren die Schlüssel zur Downing Street. Seither taumelt ihre Regierung von einer Krise in die nächste. Zu allem Überfluss verlor die konservative Partei letztes Jahr bei der mutwillig vom Zaun gebrochenen Neuwahl auch noch ihre Mehrheit. May kann kaum Erfolge verbuchen, aber eines muss man ihr gutschreiben: Sie hat bisher im Amt überlebt, allen Krisen und Kritikern zum Trotz.

Auf Kosten der Zukunft

Geschafft hat May das allerdings auf Kosten ihres Landes und seiner Zukunft. Um die Brexit-Hardliner in der eigenen Partei bei Laune zu halten, ließ sich die eigentlich gemäßigte Politikerin zu einem harten Brexit-Kurs überreden, der in keiner Weise durch das 52:48-Ergebnis gerechtfertigt war und zudem der Realität nicht standhielt. Zwei lange Jahre haben sich May und ihre Minister verhalten wie pubertierende Jugendliche: Meine Forderung ist zu erfüllen, und zwar sofort; die Wirklichkeit interessiert mich nicht; Schuld an Missständen sind immer die anderen.

Am vergangenen Wochenende hat die Premierministerin endlich die Hardliner in der eigenen Partei in die Schranken gewiesen. Erstmals wird dem Land klar gesagt: Die selbstgewählte Isolation hat für die Brexit-Insel schwerwiegende, nicht zuletzt finanziell negative Folgen. Um mit der EU weiterhin eng wirtschaftlich und politisch zusammenzuarbeiten, sind schmerzliche Kompromisse nötig. Das am Freitag nach einer langen Klausurtagung zustandegekommene Chequers-Papier kann nicht mehr sein als eine Verhandlungsgrundlage. Aber immerhin weist es in die richtige Richtung eines weichen Brexit.

Zerschlagenes Porzellan

Daher ist es nur folgerichtig, dass die zwei wichtigsten Brexit-Hardliner, David Davis und Boris Johnson, nun zurückgetreten sind. Beide wurden von May ins Kabinett geholt, um den von ihnen angerichteten Scherbenhaufen zu beseitigen. Beide verweigerten diese Aufgabe, zerschlugen lieber noch weiteres Porzellan. Beide sind talentierte Politiker, rhetorisch brillant, stets zu Spaß aufgelegt. Für das seriöse Regierungshandwerk haben sie sich als ungeeignet erwiesen. Mit immer neuen Eskapaden hat vor allem der einstige Londoner Bürgermeister Johnson unter Beweis gestellt, dass er für wirklich wichtige Jobs nicht taugt.

Außer leeren Drohungen an die Adresse Brüssels und Anbiederung an nationalistische Populisten wie US-Präsident Donald Trump hatten Johnson und seine Anhänger nichts zu bieten. Der Tory-Fraktion, dem Parlament und dem Land müssen die Rebellen nun erklären, wie sie sich einen Brexit nach ihrer Fasson vorstellen, der nicht zur wirtschaftlichen und politischen Katastrophe wird.

May zeigte sich in ihren ersten Reaktionen bereit, um ihr Amt zu kämpfen. Die Tories sollten bedenken, dass ihnen leicht nicht nur eine Premierministerin abhandenkommen kann, sondern gleich die ganze Macht. Zwar hat auch die Labour-Fraktion unter Jeremy Corbyn bisher keinen kohärenten Brexit-Plan vorgelegt, aber die Briten könnten schnell zum Schluss kommen: Schlimmer als mit den Konservativen sind wir mit der Opposition auch nicht bedient. (Sebastian Borger, 9.7.2018)