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Großbritanniens Premierministerin Theresa May steht wegen ihres sanfteren Brexit-Kurses unter Druck.

Foto: REUTERS/Simon Dawson

London – In der Regierungskrise in Großbritannien rief Premierministerin Theresa May ihr neues Kabinett noch am Dienstagvormittag erstmals zusammen und sprach danach von einer "produktiven Sitzung". Nach dem Rücktritt von Boris Johnson saß der bisherige Gesundheitsminister Jeremy Hunt als neuer Außenminister mit am Tisch. Er hatte vor dem Brexit-Referendum für den Verbleib der Briten in der EU geworben.

May will eine enge Verbindung Großbritanniens mit der EU erhalten und liefert sich mit den Brexit-Hardlinern in ihrer konservativen Partei einen erbitterten Machtkampf. Immer mehr Konservative rebellierten zuletzt gegen die eigene Premierministerin wegen ihrer Vorschläge für einen sanfteren Brexit – Johnson war das dritte Regierungsmitglied, das innerhalb von 24 Stunden seinen Rücktritt bekanntgab. Wenn sich 48 Abgeordnete der konservativen Partei finden und einen Antrag unterzeichnen, könnte es zu einer Vertrauensabstimmung im Parlament kommen.

"Menschenverstand" gegen Misstrauensvotum

Danach sieht es derzeit aber nicht aus. Bei einem Treffen ihrer Fraktion hinter verschlossenen Türen erhielt May am Montagabend Berichten zufolge Unterstützung. Die Premierministerin hatte wiederholt klargemacht, dass sie ihr Amt nicht kampflos aufgeben werde. Der frühere Vorsitzende der Konservativen, Michael Howard, sagte der BBC: "Es wäre extrem dumm, ein Misstrauensvotum gegen die Premierministerin zu starten. Ich denke, und ich bin erfreut, dass sich gesunder Menschenverstand zu entwickeln scheint."

Auch Ex-Verteidigungsminister Michael Fallon sagte, er glaube nicht an einen Misstrauensantrag. "Das ist das Letzte, was wir gerade brauchen. Wir haben jetzt einen Plan." Johnson sprach von einem sterbenden Brexit-Traum. "Träumen ist schön und gut, wahrscheinlich für uns alle, aber wir müssen mit der echten Welt zurechtkommen", sagte Fallon.

Warnung an "Brexiteers"

Der konservative Ex-Außenminister William Hague warnte die "Brexiteers", sollten sie sich gegen Mays Pläne stemmen, riskierten sie, dass der Brexit scheitere. "In dieser Frage ein Romantiker zu sein hat für das Land keinen praktischen Nutzen", schrieb er im "Daily Telegraph".

Erst am Freitag hatte sich die Regierung auf einen von May skizzierten Weg zu einem sanften Brexit geeinigt, der vorsieht, dass Großbritannien zwar plangemäß aus der EU austritt, im Bereich von Waren und agrarischen Erzeugnissen aber weiterhin Freihandel mit dem Kontinent betreibt. Medienberichten zufolge hatte Johnson Mays Vorgehen als "Scheißhaufen" ("turd") bezeichnet. Ihr Plan "läuft auf den Status einer Kolonie hinaus", erklärte er. Der Brexit hätte eine Gelegenheit sein sollen, Dinge anders zu machen. "Dieser Traum stirbt, erstickt durch unnötige Selbstzweifel", wetterte Johnson.

May verteidigte ihren kooperativen Kurs in den Brexit-Verhandlungen auch nach den Rücktritten. Sie bedauerte am Montag im Unterhaus den Rückzug von Johnson und Davis, verwies aber auch auf die unterschiedlichen Ansichten der beiden mit Blick auf das Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU nach dem Brexit im kommenden Jahr. Ihr Ziel, weiterhin enge Beziehungen zur EU zu pflegen, schütze Arbeitsplätze und sei das Beste für die Bevölkerung, sagte May. "Es ist der richtige Deal für Großbritannien." (APA, red, 10.7.2018)