Gabriele Susanne Kerner alias Nena.

Foto: APA/ERWIN SCHERIAU

Hast du etwas Zeit für mich, dann ...

TV80s

Nichts versäumt! Oh, vielleicht doch. Wir sahen und hörten Nena, wie wir uns das vorgestellt hatten. Die Kleine (spanisch: la nena, Kosewort für die Tochter) rockte in die Nacht und riss mit Tochter und Sohn und ihrer Band das Publikum aus dem Alltag. Unsere Herzen hämmerten im Rhythmus, unsere Beine wurden massiv unruhig, unsere Körper wippten im Takt.

Stoffmäuse und Bier

Etwas verspätet erfolgte der Einlass, aber bald knatterten "Egon 7" und die zweite Vorband aus Salzburg beziehungsweise Bayern ihre Granaten ins Volk. Ja, das Volk sind wir: Die Frauen in der kleinen Gruppe, eine so wortgewaltig, dass ich sie mir gar nicht eventuell empathisch vorstellen kann, die zwei, die sich auf den Boden gesetzt haben und aufs Smartphone schauen, die Burschen holen sich noch ein Bier und knipsen den Begleiterinnen unter die Röcke, lachen, können das Hauptprogramm kaum abwarten, die vier mit den Luftballons, einige Männer mit wahrscheinlich geschenkten Hüten und viele mit wahrscheinlich geschenkten Stoffmäusen oder so, Getränke in der Hand, alle strahlen voll Vorfreude.

Wir brauchen ein Idol, wir zelebrieren den Kult, wir beten an, wir horchen auf die Botschaft, lassen uns führen. Wir geben Verantwortung ab, wir verschmelzen zum zuckenden Schwarm. Dialoge sind uns zu wenig, zu anstrengend. Wir möchten etwas Drittes zum Bereden, zum Beschwätzen. Wir lieben den Kick von außen. Von draußen muss es kommen – Furcht und Hoffen, Faszinosum und Entsetzen. Wir sind wir. Bleibt ihr, wo ihr seid.

Willst du mit mir geh'n?

Und dann hämmert es und blitzt es rund oder eckig um rock and pop and fun. Unter Trommelwirbel taucht Nena als Indianerin aus dem Warten auf und schmettert uns ihre Crescendi entgegen. Vierzig Jahre steht sie oder tanzt sie und singt sie schon auf der, von der Bühne und fragt: "Willst du mit mir geh'n?" Die Musik tobt weiter, da taucht sie mit zwei Kollegen plötzlich mitten im Volk auf, hinter den vielen Rücken, die die Tribüne belagern. Toll gemacht, sehr gutes Arrangement, super Technik. Die Lichteffekte zwingen oft zum Blinzeln. Das Volk filmt mit, diese Dinger über den Köpfen lassen nichts aus, und neben den paar Feuerzeugen spielen sie Heiliger-Geist-Zungen. Die erhobenen Hände schwenken mit, klatschen. Inzwischen stehen wir auf einem Plastikteppich, was 5.000 Leute so nebenbei entleeren.

Hab' 'nen Luftballon gefunden

Zwei Stunden wirbelt Nena uns alle Sorgen aus den Köpfen, wir warten nur noch auf die Luftballons, und sie kommen: "Heute zieh' ich meine Runden, seh' die Welt in Trümmern liegen, hab' 'nen Luftballon gefunden, denk' an dich und lass' ihn fliegen." Und es gibt natürlich Zugaben. Tochter Larissa ist dabei beim Absturz von der kleinsten Bühne wohl nichts Arges passiert, uns bleibt kurze Zeit das Herz stehen. Was passiert – Wunder geschehen ... Spät wird es wieder ruhig in Wagna im Süden der Steiermark, die Nacht atmet durch. (Herbert De Colle, 10.7.2018)