Samuel Maoz wurde 1962 in Tel Aviv geboren. Sein Film "Foxtrot" wurde 2017 in Venedig mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet.

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Michael und Daphna Feldman werden vom Schicksal hart geprüft. Zuerst erfahren sie von den israelischen Streitkräften, dass ihr Sohn Jonathan im Einsatz getötet wurde. Später kommt jemand, und behauptet das Gegenteil. Und am Ende wirft Samuel Maoz in seinem Film Foxtrot noch einmal alles über den Haufen. 2009 wurde Maoz mit Lebanon bekannt, einem Film, der weitgehend im Inneren eines israelischen Panzers spielte. Der Regisseur ging damals von seinen eigenen Erfahrungen als Soldat aus. Foxtrot ist nun ein surrealer Trip in das Innere der israelischen Psyche. Der Regisseur wurde dafür in seinem Land als Verräter attackiert.

Der Surrealismus des Krieges: Samuel Maoz platziert die Hauptfigur seines Films "Foxtrot" an einem Kontrollposten in der Einöde. Der geht die Kontrolle mitunter auch verloren.
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STANDARD: Was hat Sie zu Foxtrot inspiriert?

Maoz: Es gab zwei Faktoren. Der erste ist eine persönliche Geschichte, die lange zurückliegt. Meine Tochter stand damals immer zu spät auf, wir mussten deswegen jeden Tag ein Taxi rufen, damit sie zur Schule kam. Eines Morgens zwang ich sie, den Bus zu nehmen. Sie sollte lernen, rechtzeitig aufzustehen. Sie nahm also die Buslinie 5 in Tel Aviv, die führt durch das Zentrum. Zwanzig Minuten später hörte ich im Radio, dass es einen schweren Anschlag auf diese Linie gegeben hatte. Eine Stunde später kam unsere Tochter nach Hause. Sie hatte den Bus ganz knapp versäumt und dabei dem Fahrer sogar noch gewinkt, damit er auf sie warten sollte. Das war die schlimmste Stunde meines Lebens. Was kann ich aus dieser Stunde lernen? Nicht viel. Aber das brachte mich zu dem zweiten Faktor: Ich wollte etwas machen über den Spalt zwischen den Dingen, die wir unter Kontrolle haben, und den anderen, die wir nicht beeinflussen können. Diese Geschichte ist also auch Resultat einer philosophischen Überlegung: Ist es der Zufall, der alles entscheidet? Einstein hat gesagt: Der Zufall ist Gottes Weise, anonym zu bleiben.

STANDARD: In Foxtrot ist Jonathan als Soldat an einem Kontrollpunkt in der Einöde eingesetzt. Die Szenerie wirkt bewusst unrealistisch.

Maoz: Ich wusste, dass ich es mit einem heiklen Thema zu tun habe: den Streitkräften. Man darf seine Erlösungsmaschine nicht kritisieren. Da macht man sich zum Verräter. Die Streitkräfte haben uns von unseren vergangenen Traumata erlöst, der Sechstagekrieg 1967 hat das ganze Land stolz gemacht. Ich wollte eine Allegorie erschaffen. Die Armee sind wir, es ist eine Volksarmee, ich wollte also eine traumatisierte Armee zeigen. Ich wollte eine Allegorie deutlich machen, der ganze Mittelteil von Foxtrot sollte surreal wirken. Die Realität sinkt immer mehr ein, wird immer schiefer. Das ist wie eine intuitive Übersetzung meiner inneren Welt. Wenn man nur schreit, wird niemand hinhören. Wenn aber ein bisschen Humor dabei ist, wird es leichter, etwas zu akzeptieren.

STANDARD: Verarbeiten Sie eigene Erfahrungen als Soldat?

Maoz: Wenn du 18 bist und Soldat, geht es nicht um Rechtfertigung des Kriegs oder um Pazifismus. Es geht nur darum, das zu tun, wofür du hingestellt wirst, und ich habe das getan. Ich wollte das so zeigen, damit ich mir vergeben kann. Eine Situation, aus der es keinen Ausweg gibt. Aber letztendlich sind es meine Finger, meine Entscheidungen. Bis heute ist die bloße Tatsache, dass ich dabei war, das alles Entscheidende. Eines Morgens, nachdem Lebanon herausgekommen war, wurde mir klar, warum wir uns in Israel so verhalten, wie wir das tun. Es ist eine sehr umfassende Antwort, die erklärt, warum das Leben in Israel so teuer ist, warum die Gesellschaft rassistisch ist, warum wir seit 50 Jahren eine Besatzungsmacht sind. Wir sind eine traumatisierte Gesellschaft. Diese instinktive Erinnerung, die sich von Generation zu Generation weitergibt, werden wir nicht los. Wir sind in einem ewigen Krieg. Ich sage nicht, dass Israel nicht bedroht ist. Aber wir sind immerhin eine Atommacht. Das genügt aber nicht. Kürzlich haben wir wieder drei U-Boote gekauft. Warum geht das Geld in die falsche Richtung: wegen des Traumas?

STANDARD: War 1982 ein Sündenfall für Israel?

Maoz: Ich denke, ja. Es ist auch logisch. Die Kriege davor bis zum Sechstagekrieg 1967 waren Selbsterhaltungskriege. Aber vom Jom-Kippur-Krieg (1973)an wurde die Armee immer größer, immer technologischer, die Kriege unklarer in ihrer Motivation. Die Siege der Armee wurden immer unklarer. Der Libanonkrieg fand außerhalb des Staatsterritoriums statt. Normalerweise hat man in einem Krieg zwei Armeen, unterschieden durch Uniformen, und es geht darum, ein Territorium zu erobern oder zu verteidigen. Im Libanon haben die Feinde Jeans getragen, und wir kämpften in Stadtvierteln. Da hat sich etwas verändert. Aber eigentlich schon mit dem Jom-Kippur-Krieg.

Trailer zu "Foxtrot".
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STANDARD: Wie waren die Reaktionen in Israel auf Foxtrot?

Maoz: Die Kulturministerin hat den Film angegriffen, ohne ihn gesehen zu haben. Sie hat sich im Grunde genauso verhalten, wie ich es im Film beschreibe. Sie wollte Foxtrot vertuschen, hat aber das Gegenteil erreicht. Man kann über den Film reden, dann wird man feststellen, dass es sich nicht um ein Dokument handelt. Ich erzähle eine Geschichte, keine objektive Wahrheit. Aber weil ich mich mit der Armee beschäftige, unsere Befreiung von früheren Traumata symbolisiert habe, werde ich des Verrats bezichtigt. Dass ich selber im Libanonkrieg war, dass ich einen schweren Preis dafür gezahlt habe, spielt keine Rolle mehr. Der Vorfall lässt die Spaltung in unserer Gesellschaft erkennen. Wir befinden uns in Israel inzwischen in einem Kampf um Grundwerte: Redefreiheit, künstlerische Freiheit stehen auf dem Spiel.

STANDARD: Wie sehen Sie die Perspektiven für eine liberale, ausgleichende Politik in Israel?

Maoz: Die Perspektiven werden immer schlechter. Das ist auch eine demografische Angelegenheit. Die Religiösen bekommen sieben, acht Kinder, der Durchschnitt in Israel liegt bei zwei Kindern. Das Schicksal ist keine überirdische Macht, es kommt aus dem Kollektiv, und Politiker machen es sich zunutze. Wir bräuchten wieder eine große politische Persönlichkeit. Wir hatten ja einmal jemanden, aber er wurde 1995 ermordet: Yitzhak Rabin. Ich erinnere mich an ein Interview wenige Wochen vor seinem Tod. Er sprach über die Friedenspläne mit den Palästinensern. Eine Mehrheit war dagegen, aber Rabin hielt unbeirrt daran fest: Die Mehrheit irrt sich in diesem Fall, sagte er. Es braucht ab und zu einen mutigen Menschen, der erklärt, dass sich die Mehrheit irren kann. (Bert Rebhandl, 11.7.2018)