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Ein Abenteuer ohne großen Anschauungswert: kein Zugang zum Hölleneingang im nordthailändischen Tham Luang.

Foto: Soe Zeya Tun

Das Prestige unterirdischer Höhlen als Herbergen für uns Menschen ist gering. Platons Höhlengleichnis handelt bekanntlich von der Wahrnehmung bewegter Schatten an den Wänden eines unterirdischen Hohlraums. Die Rede ist, ihrem philosophischen Gehalt nach, von Trug und Täuschung. Noch den Bildern aus der Höhle im thailändischen Tham Luang eignete ein ähnlich verzerrender, die Wirklichkeit verstümmelnder Effekt.

Man sah, notdürftig beleuchtet, die Mienen der gestrandeten Buben. Die bewegten Bilder belebten die Hoffnung auf die vollständige Rettung aller Beteiligten. Als Belege einer ungebrochenen Vitalität waren sie schlechthin unverzichtbar für die mitbangende Weltöffentlichkeit.

Schlund der Höhle

Im Moment ihrer bildlichen Erfassung wirkten die noch nicht aus dem Schlund der Höhle gezogenen Kinder aber auch merkwürdig preisgegeben. Sie glichen Zwischenwesen, wie nur flüchtig vom Licht der Erkenntnis berührt. Die "Erzählung" des Höhlenunglücks von Nordthailand ist – nicht nur wegen des unzugänglichen Terrains – seltsam blass und unplastisch geblieben. Nicht das Fehlen von Empathie galt es zu beklagen. Niemanden ließ das Schicksal der Buben unberührt, ihre Ausgesetztheit in weitgehender Finsternis. Die vollständige Befreiung des Wild-Boars-Fußballteams ist soeben vollbracht worden. Aber man muss hinzufügen: Ein Höhlentaucher ist in Ausübung seines Metiers gestorben.

Die Geschichte der thailändischen Unterwelterkundung wird noch geschrieben werden. Sie widersetzte sich nur bis zum Augenblick ihrer akuten Klimax jener Form von Anteilnahme, die einer Vermittlung durch Bilder bedarf. Für Tham Luang gilt kein Darstellungsverbot. Kein Hinweis auf Pietät hat die Kameras der Weltöffentlichkeit ausgeschaltet.

Blinde Mächte

Drastisch fühlbar blieb eher ein Mangel an Personal, das nicht nur unsichtbar (und heilsam) tätig wird, sondern sich stolz zu seiner eigenen Präsenz – und somit zu seinem Schauwert – bekennt. Der Einsatzleiter unter seiner Schirmkappe, die in Monturen steckenden Taucher, sie alle lassen sich bloß über den Umweg der Abstraktion als Helden ansprechen. Nicht die Empathie versagt. Aber um wie viel weniger strahlt Heldenkraft, wenn sie dem technokratischen Pluralwort der "Einsatzkräfte" weichen muss.

So geht es einem wie dem blinden Faust in Der Tragödie zweiter Teil, der sich als unternehmender Geist vom Spatengeklirr einer schaufelnden Menge ergötzt fühlt und nicht weiß, dass bloß ein Grab – sein eigenes – ausgehoben wird. Uns Heutige drückt die Besorgnis, dass jemand, der gerettet werden möchte, sich blind den Mächten der Technokratie ausliefern muss. Jedes Labyrinth bedarf eines Minotaurus, der seinen Schrecken versinnbildlicht. Man mag das Krisenmanagement für seine Gelassenheit belobigen. Aber auch im 21. Jahrhundert kann es passieren, dass Medien Diagramme von Höhlen abbilden, wenn sie ausdrücken wollen, dass zwölf Buben und ihr Sportlehrer unversehrt unter uns weilen. (Ronald Pohl, 10.7.2018)