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Sloweniens Miro Cerar, Großbritanniens Theresa May, Griechenlands Alexis Tsipras, Deutschlands Angela Merkel und Bulgariens Bojko Borissow – sie alle sind beim Balkangipfel in London.

Foto: Getty Images/POOL/LEON NEA

Noch bevor die Regierungschefs aus Südosteuropa ankamen, ging der Gastgeber in seiner Funktion verloren. Der bisherige britische Außenminister Boris Johnson sollte eigentlich die Politiker empfangen. Kaum im Amt, musste nun sein Nachfolger Jeremy Hunt schon am ersten Arbeitstag diesen Job übernehmen. Doch bereits im Vorfeld des jährlichen Balkangipfels im Rahmen des Berlin-Prozesses war kritisiert worden, dass das Treffen überhaupt in London stattfindet – in einem Land also, das aus der EU austritt, während die Balkanstaaten beitreten wollen.

Die britische Regierung wollte mit den Premierministern der sechs EU-Aspiranten aus Südosteuropa auch nicht über Erweiterung sprechen, sondern hauptsächlich über Sicherheit. Im Rahmen des Berlin-Prozesses, der 2014 von Angela Merkel initiiert wurde, wurde nun die Zusammenarbeit im Kampf gegen Terrorismus, Radikalisierung, Cyberattacken und Waffenschmuggel intensiviert. Dafür wurde ein Lenkungsausschuss in der Region geschaffen. Auch der Datenaustausch zwischen den Strafverfolgungsbehörden soll verbessert werden.

Rückkehrmechanismen

In der Gipfelerklärung wurde auch betont, dass die Rückkehrmechanismen für Migranten, die nach Südosteuropa gelangt sind, verbessert werden sollen. Im Klartext wird von den Balkanstaaten verlangt, die Migranten wieder in ihre Herkunftsländer zurückzuschicken, bevor sie nach Mitteleuropa gelangen. In diesem Zusammenhang lehnte EU-Kommissar Johannes Hahn Ideen, Migrationszentren für in der EU abgelehnte Asylwerber zu auf dem Balkan zu schaffen, klar ab.

"Die Region soll kein Parkplatz werden", meinte Hahn am Dienstag in London. "Die gestrandeten Leute wollen nicht in der Region bleiben, und also macht es keinen Sinn, sie in der Region zu halten." Zuletzt hatte auch die österreichische Regierung immer wieder solche Migrationszentren auf dem Balkan vorgeschlagen – freilich ohne die Einwilligung der betroffenen Staaten.

Mehr Frontex-Beamte auf dem Balkan

Indes wird gerade an Statusvereinbarungen zwischen Frontex und den Staaten in der Region gearbeitet, die es ermöglichen sollen, dass Frontex-Beamte – insbesondere in Serbien und Mazedonien – in Zukunft auch exekutive Aufgaben übernehmen. Zurzeit ist ihre Rolle darauf beschränkt, die lokalen Polizeikollegen zu beraten. Eine Kernfrage dabei ist, dass die Entsendestaaten der Frontex-Polizisten Immunität vor Strafverfolgung garantiert haben wollen, bevor diese auf den Balkan geschickt werden.

Die Polizeikooperation in der Region selbst funktioniere bereits seit Jahren gut, meint Hahn. Notwendig sei noch eine bessere Kooperation mit der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und dem UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR).

Ein weiteres Thema war die Bewältigung der Kriegsvergangenheit in Südosteuropa. Bei der entsprechenden Deklaration ging es darum, Informationen über in Kriegszeiten vermisste Personen zwischen den Staaten auszutauschen und bei Gerichtsprozessen zu Kriegsverbrechen zusammenzuarbeiten. Seit Jahren bemüht sich zudem ein Bündnis aus hunderten NGOs auf dem Balkan, eine Kommission zu schaffen, die die Fakten über den Krieg und die Verbrechen zusammenträgt und von allen Staaten unterstützt wird.

Diese "Wahrheitskommission", die letztlich eine gemeinsame Geschichtsschreibung ermöglichen soll, war am Dienstag Teil der Gipfelerklärung, was als der größte Durchbruch von London gesehen werden kann. Denn im Vorfeld gab es heftige Widerstände in manchen Staaten der Region. Auch Kroatien – nicht nur die Balkanstaaten – werden Teil dieses Projektes sein.

"Historisches Abkommen"

Gelobt wurde im Abschlusspapier des Gipfels ausdrücklich das "historische Abkommen" zwischen Griechenland und Mazedonien im Namensstreit. Hahn meint, dass Ende nächsten Jahres im Idealfall die ersten Kapitel des EU-Gemeinschaftsrechts in Albanien und in Mazedonien verhandelt werden können. In den EU-Staaten werde vor allem die fehlende Rechtsstaatlichkeit auf dem Balkan kritisch beäugt.

Während Albanien und Mazedonien in den vergangenen Monaten Fortschritte machten, gibt vor allem Montenegro, das bereits fast alle EU-Kapitel geöffnet hat, immer mehr Anlass zur Sorge. Hahn dazu: "Wegen der Attacken gegen Journalisten bekommt Montenegro zusehends ein Reputationsproblem. Nicht alles ist sonnig in dem sonnigen Staat."

Hahn zeigt sich optimistisch, dass es kommendes Jahr zu einem Abkommen zwischen Serbien und dem Kosovo kommen wird, das auch in den fünf EU-Staaten, die den Kosovo noch nicht anerkennen, zu einer Änderung ihrer Haltung führen soll. "Das ist unsere klare Erwartung", so Hahn. Zurzeit wird auch ein Abkommen zwischen Albanien und Griechenland zu Ende gebracht, mit dem endlich der seit dem Zweiten Weltkrieg bestehende Kriegszustand beendet, die wechselseitigen Minderheiten anerkannt und die Seegrenzen geklärt werden sollen. Das Abkommen wird derzeit vom albanischen Präsidenten Ilir Meta zurückgehalten, weil seine Partei nicht in der Regierung sitzt.

Schengen-Visafreiheit für den Kosovo

Im Fall des Kosovo will man noch im Sommer zu den Voraussetzungen für die Erteilung der Schengen-Visafreiheit Stellung beziehen. Und Bosnien-Herzegowina wurden weitere 600 Fragen gestellt, die bis Jahresende beantwortet werden sollen und klären sollen, ob das Land den Kandidatenstatus bekommen kann. Die EU-Kommission will den Erweiterungsprozess künftig verbessern, indem man verhindert, dass die Staaten sich wechselseitig blockieren.

In den neuen Beitrittsverträgen soll deshalb inkludiert werden, dass man den Nachbarn beim Erweiterungsprozess nicht mit einem Veto belegen darf. Viele meinen, dass man das im Fall von Kroatien auch bereits hätte machen sollen. Denn Kroatien macht gegenüber den Nachbarstaaten Serbien und Bosnien-Herzegowina laufend Probleme.

Die Kommission will weiters, dass kleinere Entscheidungen im Erweiterungsprozess im EU-Rat bereits mit qualifizierter Mehrheit und nicht mit Einstimmigkeit beschlossen werden können. Dazu wird dieses Jahr ein Vorschlag ausgearbeitet. "Wir verbringen ein Drittel der Zeit damit, ein, zwei Staaten von etwas zu überzeugen, während die anderen Länder längst einverstanden sind", erklärt Hahn die Problematik. "Nicht alles braucht Einstimmigkeit." (Adelheid Wölfl aus London, 10.7.2018)