Stefan Heissenberger
Schwuler* Fußball
Ethnografie einer Freizeitmannschaft
Verlag Transcript 2018
382 Seiten, 29,99 Euro

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Ein Coming-out im Fußball muss keineswegs in einer Katastrophe enden, sagt der Kultur- und Sozialanthropologe Stefan Heissenberger.

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"Männer-Fußball ist wie Weihnachten. Niemand kann ihm entrinnen. (...) Wenn zu Weihnachten die heterosexuelle Familie gefeiert wird, so ist es beim Fußball der heterosexuelle Mann", schreibt Stefan Heissenberger in der Einleitung seines Buchs "Schwuler* Fußball. Ethnografie einer Freizeitmannschaft". Der Kultur- und Sozialanthropologe, von Kindesbeinen an selbst begeisterter Fußballspieler, wurde für seine Doktorarbeit sechzehn Monate lang Teil des schwulen Fußballteams von Vorspiel SSL Berlin e.V. und fungierte vorübergehend sogar als Trainer.

Die Mannschaft, die ganzjährig auf einem Kunstrasenplatz in Pankow trainiert, ist auch für heterosexuelle Spieler offen und funktioniert nicht nach dem klassischen Leistungsprinzip, erklärt Heissenberger im STANDARD-Gespräch. Ähnlich wie etwa in queer-feministischen oder anderen politisch engagierten Amateurteams sollen Spieler in den Verein integriert werden – selbst wenn ihre sportliche Leistung als unterdurchschnittlich einzustufen ist. Während in Österreich kein schwuler Fußballverein existiert, ist in Deutschland in jeder größeren Stadt eine Mannschaft zu finden, Turniere innerhalb und außerhalb Deutschlands sind wichtiger Teil der schwulen Fußballkultur.

Klischees und Abwertungen als Dauerthema

Für die Spieler selbst dient das Vereinsleben oftmals als Gelegenheit, sich auf eine gesellschaftlich akzeptierte Weise mit dem eigenen Schwulsein auseinanderzusetzen, so ein zentrales Ergebnis der Forschungsarbeit. "Fußball ist für viele eine vertraute Sportart seit der Kindheit, und sie wird noch dazu mit Männlichkeit assoziiert. Das schwule Fußballteam ist also eine Möglichkeit, auf andere schwule Männer zu treffen – ohne dabei als unmännlich zu gelten", sagt der Kultur- und Sozialanthropologe, der schon in seiner Diplomarbeit an der Universität Wien Männlichkeit im heteronormativen Fußball erforschte.

Auch innerhalb des Teams sind Klischees und Abwertungen ständig Thema, beschreibt Heissenberger, in der Auseinandersetzung damit ist der Humor ein zentrales Thema. "Was war das für ein schwuler Pass" wird da etwa – besonders gerne Hetero-Mitspielern – zugerufen. Nach außen hin gilt hingegen die Prämisse, sich als möglichst "normal" zu präsentieren. Im Gegensatz zu den ersten schwulen Fußballteams, die sich Ende der 1980er-Jahre gründeten und die ihr Anderssein offensiv in den Vordergrund rückten, sei heute der Wunsch nach Anerkennung größer, resümiert Heissenberger. Dementsprechend erfreut zeigten sich viele Spieler, dass es gerade Thomas Hitzlsperger war, der sich in Deutschland als erster prominenter Profifußballer als homosexuell outete: ein sympathischer Kerl, der während seiner Karriere weder durch Skandale noch durch Wehleidigkeit oder schlechte Leistung aufgefallen war.

Dass ein Coming-out im Fußball zwangsläufig negativ für den betroffenen Spieler verlaufen müsse, sei eine falsche Annahme, ist Heissenberger überzeugt: "Für mich war das eine zentrale Erkenntnis aus meiner Forschungsarbeit. Bei den Spielern, die auch Erfahrungen im heteronormativen Fußball haben, verliefen Coming-out-Prozesse sehr viel vielschichtiger, als ich das angenommen hatte." Ein Coming-out im Fußball müsse keineswegs in einer Katastrophe enden. Dennoch: Hegemoniale Männlichkeit, also eine als heterosexuell, körperlich stark und durchsetzungskräftig gedachte Männlichkeit, erweist sich auch auf dem Fußballfeld nach wie vor als höchst prekär.

Angst vor einer Objektivierung

Heissenberger macht die Dusche als zentralen Ort aus, wo diese verhandelt werde. "Als ich für meine Diplomarbeit Spieler in einer heteronormativen Mannschaft danach fragte, wie sie reagieren würden, wenn sich ein Mitspieler als schwul outen würde, bekam ich von allen dieselbe Antwort: Ich hätte kein Problem damit – aber alle anderen", erzählt Heissenberger. Das vermeintliche Problem sahen die Fußballer beim gemeinsamen Duschen. Geäußert wurde die Angst vor einer Objektivierung, analysiert der Kultur- und Sozialanthropologe.

Die Dusche begegnete ihm auch während seiner Feldforschung bei dem schwulen Team wieder: Dass es unter der Dusche zugehe wie bei jedem anderen Fußballverein auch, wurde ihm ohne explizites Nachfragen versichert. Über gemeinschaftliche Rituale und das tatsächliche Verhalten der Spieler in der Kabine und unter der Dusche berichtet Heissenberger schließlich auch in seinem Buch. Zugrunde liegt dem das Ziel einer jeden guten Ethnografie, wie der Forscher schreibt: "die Humanisierung eines Stereotyps". (Brigitte Theissl, 11.7.2018)