Seine erste Reise nach der Angelobung führte Tayyip Erdoğan ins aserbaidschanische Baku.

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Ankara – 539 Artikel lang ist das erste Dekret, das der türkische Staatspräsident Tayyip Erdoğan nur Stunden nach seiner Amtseinführung am Montag im Amtsblatt veröffentlichen lässt. Es beschreibt Teile der neuen Regierungsverwaltung und trägt nur noch seine Unterschrift, nicht länger auch die der Minister, selbst wenn dies in den zurückliegenden Jahren nur noch eine Formsache war. "Die exekutive Gewalt übt der Staatspräsident aus", steht zu Beginn des Dekrets. Die neue Ära der Türkei hat begonnen.

"Erdoğanismus" nennt sie der Publizist und regierungskritische Intellektuelle Ahmet Insel. Eine Mischung aus Populismus und nationalistischem Islamismus, so schreibt er am Dienstag in einer Kolumne, und eine Form von autoritärer Herrschaft in der Türkei, die auf den Kemalismus folge, das Einparteienregime des Republikgründers und seines Nachfolgers, das bis 1946 dauerte.

Kein EU-Ministerium mehr

Manches ist bedeutend, anderes scheint nichtssagend in dem ersten dieser Präsidialdekrete. Erdoğan richtet das Amt eines Verwaltungschefs ein, des höchsten Beamten der Republik. Sein Name war Dienstagnachmittag noch nicht bekannt. Die Ministerien seiner Regierung organisiert Erdoğan neu. Artikel 486 legt etwa die Funktionen eines Generaldirektorats für EU- und Außenbeziehungen fest, das dem Außenminister zuarbeiten soll. Das EU-Ministerium selbst, 2011 geschaffen, ist verschwunden. Man kann es als Eingeständnis verstehen, dass der Beitrittsprozess der Türkei zur EU nun gestoppt ist.

Details in anderen Dekreten, die im Wirbel von Amtsantritt, Verfassungswechsel und neuer Regierung seit Montag aus dem Präsidentenpalast purzeln, sorgen für mehr Aufsehen. Universitätsdirektoren müssen keine Professoren mehr sein, so lernt man jetzt. Erdoğan kann künftig also noch freier entscheiden, welche Person er mit der Leitung einer Hochschule betraut.

Zentralbank im Visier

Auch der Zentralbankgouverneur muss nicht länger zehn Jahre Arbeitserfahrung in seinem Bereich haben. Seine Stellvertreter können zudem nun parallel Unternehmen führen. Das schafft möglicherweise ethische Probleme, gilt aber bereits als ein erstes Antasten der Unabhängigkeit der Zentralbank. Für Investoren und die Ratingagenturen ist dies ein entscheidender Punkt.

Auf den internationalen Märkten sackte die türkische Lira am Montagabend bei der Vorstellung der neuen Regierung in Ankara sofort ab. An der Börse in Istanbul setzte sich dies am Dienstag fort. Bei 4,70 stand die türkische Währung für einen Dollar und bei 5,50 für einen Euro. Erdoğans Wirtschaftsberater Cemil Ertem kündigte in seiner Zeitungskolumne eine "schnellere Harmonisierung" der Steuerpolitik und "kräftige Schritte" an, ohne aber Einzelheiten zu nennen. Gemeint war damit wohl die Ernennung von Erdoğans Schwiegersohn Berat Albayrak zum neuen Finanzminister. Der 40-Jährige steht hinter der lockeren Geldpolitik und der Idee der ständigen Konsumankurbelung seines Schwiegervaters.

Albayraks Ernennung war eine der Überraschungen bei der Vorstellung der neuen Regierung. Die Übernahme des Verteidigungsministeriums durch den bisherigen Armeechef Hulusi Akar war eine andere. Akar leistete am Dienstag seinen Amtseid ungewohnt in einem Anzug ab. Am Freitag wird Erdoğans Kabinett zusammentreten. (Markus Bernath, 10.7.2018)