Die Nummer sieben gegen die Nummer drei – die Weltrangliste hätte vor vier Wochen nicht unbedingt erahnen lassen, dass am Dienstagabend vor fast 65.000 Zusehern in Sankt Petersburg das gleichsam vorweggenommene Finale der Weltmeisterschaft ausgespielt werden würde.

Frankreich und Belgien, schon vor der Endrunde wohl hoch gehandelt, hatten sich die Vorschusslorbeeren allerdings redlich erspielt, es wurde ein Offensivspektakel erwartet – neun bzw. 14 Treffer hatten die in freundlicher Abneigung verbundenen Nachbarn auf ihrem Weg ins Halbfinale erzielt.

Belgischer Start

Die Belgier, die bei drei Gelegenheiten noch alle Endrundenspiele gegen die Franzosen verloren hatten, in der Gesamtbilanz aber mit 30:24-Siegen voranlagen, kamen mit Mittelfeldabräumer Moussa Dembelé statt des gesperrten Thomas Meunier etwas besser ins Spiel. Vor allem über Eden Hazard wurde die französische Abwehr angebohrt, die Équipe Tricolore, wieder mit Blaise Matuidi (statt Corentin Tolisso), hatte viel zu tun, um die Roten Teufel auf Distanz zu halten.

Eden Hazard zeigte schon auf.
Foto: APA/AFP/CHRISTOPHE SIMON

Der offensive französische Dreizack aus Antoine Griezmann, Olivier Giroud und Kylian Mbappé verlor sich zunächst nur in Stückwerk. Die erste echte Chance vergab folgerichtig Hazard nach Zuspiel von Kevin De Bruyne (16.). Wenig später unterzog Verteidiger Toby Alderweireld Frankreichs Goalie Hugo Lloris einer ernsteren Prüfung (22.). Erst nach einer halben Stunde reagierte die Mannschaft von Didier Deschamps gemäß dem Ernst der Lage, rückte etwas auf, attackierte die Belgier früher.

Umtitis Goldtor

Prompt entstand der Eindruck von Gefahr im belgischen Strafraum, von extremer gar, als Mbappé, seine Schnelligkeit nützend, den aufgerückten Verteidiger Benjamin Pavard bediente, der aber am langen Goalie Thibaut Courtois scheiterte (39.) – die bis dahin beste Gelegenheit im Spiel. Das löste in den ersten 45 Minuten bei weitem noch nicht alle Versprechen ein, schrieb sie aber immerhin fort.

Große Änderungen waren nicht angezeigt gewesen. Der Wiederbeginn sah wieder die Belgier im Vorwärtsgang, doch die Herrlichkeit der Roten Teufel war diesmal schneller vorbei. Eine Standardsituation bestimmte die weitere Richtung. Nach einem Eckball von Griezmann verschlief Marouane Fellaini den Lauf von Samuel Umtiti, und der wesentlich kleinere Verteidiger des FC Barcelona bezwang Courtois per Kopf – eine billige Führung für die Franzosen und eine Verlängerung des Negativlaufs der Belgier, die noch nie in einem WM-Spiel ohne Gegentor blieben (51.).

Samuel Umtiti und das Gold.
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Und dann die Verzweiflung

Es hätte sehr schnell noch schlimmer kommen können, aber Giroud war mit einer genialen Vorlage Mbappés mit der Ferse überfordert, Alderweireld konnte gerade noch rettend intervenieren (56.). Belgiens Coach Roberto Martínez brachte Dries Mertens für Dembelé, ein guter Schachzug, der die französische Herrlichkeit ein wenig einbremste. Nach einer Flanke von Mertens scheiterte Fellaini per Kopf nur knapp am Ausgleich (65.).

Die Belgier ließen sich auch fortan nicht hängen, wirkliche Gefahr entstand aber selten. Dafür standen die Franzosen zu tief, Giroud gab einen zusätzlichen Verteidiger, wurde später aber durch einen defensiven Mittelfeldspieler, Steven N’Zonzi, ersetzt. Noch davor hatte Axel Witsel der zunehmenden belgischen Verzweiflung mit einem Fernschuss Ausdruck verliehen, Lloris aber bravourös gehalten (81.).

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Frankreich steht im Finale.
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In der Schlussphase besiegte die belgische Angst vor den französischen Konterschlägen den unbedingten Willen zum Ausgleich. Auch weitere Stürmer brachten keine Änderung, das dritte französische WM-Finale nach 1998 und 2006 war nach gut 95 Minuten Realität, Belgiens König Philippe konnte nicht anders, als Präsident Emmanuel Macron zu gratulieren. Am Sonntag spielen Les Bleus um ihren zweiten Titel. (Sigi Lützow, 10.7.2018)

DER STANDARD

WM in Russland, Halbfinale, Dienstag

Frankreich – Belgien 1:0 (0:0)
Stadion St. Petersburg, 64.286 Zuschauer, SR Cunha (URU)

Tor: 1:0 (51.) Umtiti

Frankreich: Lloris – Pavard, Varane, Umtiti, Hernandez – Pogba, Kante – Mbappe, Griezmann, Matuidi (86. Tolisso) – Giroud (85. Nzonzi)

Belgien: Courtois – Chadli (91. Batshuayi), Alderweireld, Kompany, Vertonghen – Witsel, Dembele (60. Mertens), Fellaini (80. Carrasco) – De Bruyne, Lukaku, E. Hazard

Gelbe Karten: Kante, Mbappe bzw. Hazard, Alderweireld, Vertonghen

Stimmen:

Didier Deschamps (Trainer Frankreich): "Es ist außergewöhnlich. Ich bin sehr glücklich für meine Spieler. Sie sind eine sehr junge Mannschaft, aber sie haben Charakter. Es war schwer, Belgien hat eine starke Mannschaft. Wir haben in der Abwehr viel gearbeitet, vielleicht hätten wir im Konter gefährlicher sein können. Aber ich bin sehr zufrieden."

Roberto Martinez (Trainer Belgien): "Eine Standardsituation hat den Unterschied ausgemacht. Es war ein enges Spiel, und es wurde durch das Quäntchen Glück vor dem Tor entschieden. Meine Spieler waren hervorragend, ich hätte nicht mehr erwarten können. Es sind die kleinen Details im Halbfinale einer WM, die entscheiden. Jetzt herrscht natürlich eine große Enttäuschung. Wir haben jetzt noch ein Spiel, und ich wünsche mir, dass wir das Turnier erfolgreich abschließen, das haben sich diese Spieler verdient."

Samuel Umtiti (Torschütze Frankreich): "Ich bin natürlich sehr stolz. Wir haben viel gearbeitet, alles gemeinsam erarbeitet. Heute haben wir ein großes Spiel gezeigt." Zum Vergleich mit 1998er-Mannschaft: "Sie haben ihre Arbeit 1998 gemacht, wir jetzt die unsere. Wir wollen unsere Geschichte schreiben."