Sie ist gerade der Superstar der freien Tanzszene in Österreich und eine echte Größe in der zeitgenössischen europäischen Choreografie. Die ausufernd trashigen Performances der in Wien und Amsterdam lebenden Choreografin Florentina Holzinger (32) haben geradezu Kultstatus erreicht und werden international von den progressivsten Häusern und hipsten Festivals gezeigt.

Eine Performerin, die schonungslos mit ihrem Körper operiert: Florentina Holzinger mit Vincent Riebeek im Stück "Spirit" (2012).
Foto: Phile Deprez

Dieser Ruhm ist das Resultat einer Karriere, die bereits vor acht Jahren begonnen hat, als die künstlerische Draufgängerin noch Studentin an der holländischen School for New Dance Development (SNDO) war. Geholfen hat eine Mischung aus künstlerischem Talent, völligem Desinteresse an Angepasstheit, ehrlichem Vergnügen an Risiko, Konfrontation und Spektakel sowie passenden Rahmenbedingungen.

"Kein Applaus für Scheiße"

Ein Glück für Florentina Holzinger war anfangs, dass sie nach einer kurzen Wiener Ausbildungslaufbahn und ein bisschen Architekturstudium an der TU erst einmal von keiner Tanzakademie aufgenommen wurde. Bis die Amsterdamer SNDO den richtigen Riecher hatte. Dort traf Holzinger auf ihren niederländischen Kollegen Vincent Riebeek. Die zwei Tanzstudenten taten sich zusammen und produzierten den Kracher Kein Applaus für Scheiße, mit dem sie ab 2010 genau jene Mischung aus Entzücken und Entsetzen auslösten, die dann die richtige Aufmerksamkeit brachte.

In Wien sorgte die schillernde und reichlich explizite Show 2012 im Brut-Theater beim Festival Imagetanz, das damals von der heutigen Tanzquartier-Intendantin Bettina Kogler kuratiert wurde, für Furore. Das mit allen Wassern gewaschene und auf der Bühne mit etlichen Körperflüssigkeiten operierende Paar hatte, was viele Wiener Herzen schneller schlagen lässt: Witz und Abgrund, doppelbödigen Charme und Sex-Appeal, politische Würze als in popkulturelle Anspielungen verpackte Kritik, hochdosierte Lässigkeit und artistische Akrobatik. Dazu kam noch die großzügige Queerness, die vor allem Riebeek zelebrierte.

Gefördert vom Kunstzentrum Campo in Gent, dem "europaweit luxuriösesten Produktionshaus" (Holzinger), legten die beiden mit Spirit gleich eine weitere Show nach und brachen zu ausgedehnten Tourneen auf. Im Juni 2013 krachte Florentina Holzinger während einer Akrobatiknummer in Norwegen mit dem Kopf voran auf den Bühnenboden. Ihre Verletzungen waren noch sichtbar, als sie schon Anfang August wieder bei Impulstanz erschien. Und im November wurde in Düsseldorf die dritte Performance des Künstlerpaars, Wellness, uraufgeführt.

Nach dem Unfall widmete sich Holzinger zunehmend ihrer eigenen Identität als Künstlerin. Sie produzierte neben ihrer Zusammenarbeit mit Riebeek – inklusive der unvergesslichen Reality-TV-Persiflage Body+Freedom – immer wieder eigene, den gemeinsamen Stücken ebenbürtige Arbeiten: Bei Impulstanz 2014 kam ihre Gruppenperformance Agon heraus, eine Auseinandersetzung mit dem Wettkampfthema in George Balanchines gleichnamigem Ballettklassiker von 1957. Zu den Performerinnen gehörte auch eine waschechte Ballerina.

Holzinger in Choy Ka Fais "Dance Clinic".
Foto: Law Kian Yan

Bei ihrem jüngsten, ausschließlich weiblich besetzten Stück Apollon, das jetzt bei Impulstanz im Volkstheater (wieder) zu sehen ist, hat Holzinger noch einmal auf ein Balanchine-Werk zurückgegriffen: das vor 90 Jahren entstandene Ballett Apollon musagète. Die Originalstücke sind in den künstlerischen Zerreißproben der Wienerin zwar nicht wiederzuerkennen. Aber die Antworten auf die US-amerikanische Ballettlegende zielen offenkundig auf deren patriarchale Weichteile.

Die Frage nach dem Antrieb für ihre rebellische Energie pariert die Choreografin mit spöttischem Schmelz in der Stimme: "Aber aus meiner Perspektive hab ich überhaupt keine rebellische Energie. Ich wurde doch nur in so eine Schublade gesteckt!" Das Theater, fügt sie dann doch ernsthafter an, sei zwar in Zeiten des Internets ein langsames "Oldschool"-Medium. Aber man werde darin "mit echten Körpern konfrontiert". Und "so lange die Leute noch rebellisch finden, was man da macht, habe ich das Gefühl, dass das Theater wichtig ist".

Obsession für das Ballett

Ebenfalls kein Witz ist der Feminismus in den Arbeiten von Florentina Holzinger und ihren Performerinnen: "In Apollon zeigen wir definitiv, dass wir alles machen können und es den Unterschied nicht gibt: Dieses Geschlecht ist besser in dem und das andere besser in jenem." Im Zentrum der Bühne steht beinahe bis zum feierlichen Ende ein mechanischer Rodeobulle mit Glitzermaske und rotglühenden Augen, wie das Relikt eines abgenutzten Fetischs. Faszinierend an Balanchine sei, sagt Holzinger, dass er es geschafft habe, einen eigenen "Balanchine-Körper" zu definieren: "Extrem lange Beine, extrem flexible Ballerinas mit einem athletischen Bewegungsstil." Sie habe auch eine kleine Obsession für das Ballett davongetragen: "Weil ich mich davon verdammt exkludiert gefühlt habe. Ich finde Ballette so fucking zeitlos."

Beim Impulstanz-Festival, das am Donnerstag seine Pforten öffnet, zeigt Holzinger neben Apollon ein weiteres, zusammen mit Cecilia Bengolea entwickeltes Stück: Insect Train. Das wird im Odeon zu sehen sein, wo sie auch noch in Choy Ka Fais Dance Clinic auftritt. Außerdem teilt sie sich mit ihrer legendären amerikanisch-belgischen Kollegin Meg Stuart die Mentorschaft des Danceweb-Stipendiaten-Programms von Impulstanz. Und zusammen mit Btissame Amadour und Marija Malenica gibt sie einen Kampfkunst-Workshop. Mehr Präsenz in einem Festival geht nicht. (Helmut Ploebst, 11.7.2018)