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Alles fließt bei der Fußballweltmeisterschaft in Russland.
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Pro
von Colette M. Schmidt

Generationen von emotional geschundenen Männern hat man in ihrer Kindheit das Weinen verboten und abgewöhnt. Zuträglich war das den Allerwenigsten. Gefühle zu unterdrücken ist ungesund – für Männer und Frauen. Ja, die minutenlange Herumwälzerei von so manchem Fußballgott, nur weil jemand den Verschluss seiner Trinkflasche neben ihm zu grob auf den Rasen fallen ließ, nervt. Aber das ist schlechtes Theater, und schlechtes Theater nervt immer. Echte Tränen hingegen muss man fließen lassen.

Feministinnen haben lange genug gegen aufgezwungene Geschlechterrollen gekämpft. Jetzt sollen Männer aller Nationen auch weinen dürfen. Wenn eine neue Generation von Fußballern nun in aller Öffentlichkeit die Schleusen öffnet – aus Trauer, aus Freude oder einfach nur, weil ein Riesendruck von ihnen abfällt – so ist das völlig okay!

Angeblich finden manche Frauen, Männer die auch stolz Tränen vergießen können, sogar besonders sexy. Außer vielleicht die deutschen Kicker. Bei denen hätten auch keine feuchten Augen geholfen.

Kontra
von Micheal Simoner

Alles fließt bei der Fußballweltmeisterschaft in Russland. Kaum landet der Ball im Netz, geht die Heulerei los. Scheidet eine Mannschaft aus, steht Teamtränenvergießen auf dem Programm. Meister aller Klassen ist Brasiliens Superstar Neymar Júnior, egal ob er verliert oder gewinnt, gefoult wird oder nur so tut als ob, er kann es bei allen Gelegenheiten sprudeln lassen.

Nichts gegen gefühlsechte Männer, aber wenn diese Plärrerei Schule macht, wird's feucht im Alltag: auf der Autobahn überholt werden – wahhhh! Dem Akkuschrauber geht der Saft aus – schnief! Das Schnitzel beim Stammwirt ist aus – schluchz! Es gibt doch noch ein Schnitzel – jaul! Was, wenn das Rean der Kicker auch in der Politik Vorbild wird? Möchte wirklich jemand den Innenminister flennen sehen?

Für die Taschentuchindustrie können nahe am Wasser gebaute Ballesterer willkommene Botschafter sein. Aber wir sollten ihnen (und uns) in Erinnerung rufen, was Fußball eigentlich ist: nur ein Spiel. Außer es geht um Deutschland. Aber Jogi und Co haben gar nicht geweint. (RONDO, 15.7.2018)