Kroatien mit seinen nur etwas mehr als vier Millionen Einwohnern singt, lacht, jubelt, feuerwerkt, brennt (wobei manchmal was durchbrennt) und schlüpft ins durchaus schmückend Karierte.

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Moskau – Kroatien hat England im Halbfinale in der Verlängerung mit 2:1 aus dem Rennen um den Titel geboxt – nein: hinauskomplimentiert, nein: niedergerungen. Und jetzt, da es vorbei ist, gestehen auch die feurigsten Anhänger der Feurigen, dass dies doch eine große Überraschung war. Das Spielerische, die Erfahrung, die dadurch ermöglichte taktische Variabilität und Finesse sprachen zwar durchaus für das kroatische Team. Aber am Ende war es der schiere Wille, die Qualbereitschaft, gewissermaßen die ballesterische Rohkraft, die den Ausschlag gaben.

Das aber hatte man dem Team nicht wirklich zugetraut. Immerhin bringen die Spieler 28 Jahre im Durchschnitt auf die Statistikwaage (England 26). Die Drehscheibe, das große Um und Auf, der kleine Luka Modric wird Anfang September 33 Jahre alt. In der Gruppe haben sie gespielt (oder sogar sich gespielt). Aber in den anschließenden K.-o.-Matches ging es jeweils in die Verlängerung.

Gegen England mussten sie nach dem frühen 0:1 durch ein gut 20 Minuten dauerndes, von vielen Ballverlusten und insgesamt unkroatischem Tun gepeinigtes Mentalitätsloch zum Ausgleich (68.) und in die Verlängerung.

Der 32-jährige Mario Madzukic schleppte sich, stets krampfgefährdet und dann krampfgepeinigt, übers Feld. Ehe ihn ein Genieblitz traf und er in der 109. Minute die Flanke des Ausgleichsschützen Ivan Perisic um den Hauch einer Sekunde früher übernaserte. Das Team illustrierte eindrucksvoll seinen Spitznamen – Valtreni, die Feurigen.

Das Wollen

Es war, lässt sich wohl grosso modo sagen, ein Sieg des unbedingten Wollens. Coach Zlatko Dalic war, wie man so sagt, hin und weg über die Seinen: "Ich wollte wechseln, aber keiner wollte runter. Zwei Spieler haben mit einem halben Bein gespielt."

Aber – und das hat er zweifellos mitgemeint – einer wie Modric ist mit einem halben Bein immer noch jener spielentscheidende Rhythmusgeber, der andere mit zwei ganzen gerne wären.

Der 1,75 Meter große, beinahe zierliche Mittelfeldspieler, heuer schon Champions-League-Sieger mit Real Madrid – am Mittwoch bestritt er sein 55. Saisonpflichtspiel –, ist das Metronom dieser Mannschaft. Er gibt den Takt vor. Er findet – da mag der Gegner noch so engmaschig verteidigen – den freien Raum. Hat er den Ball, verschleppt er tanzend den Gegner und schafft so Platz für die Kollegen. Dribbelt. Oder passt fußgenau. Macht das Spiel tief. Oder breit. Schnell oder pomali. Seltener sucht er selbst den Abschluss.

Dirigent aus Zadar

Er – der groß geworden ist im schönen Zadar, wo er als Bub den gerade dort so hässlichen Krieg erleben musste – dirigiert. Seine Kollegen sind selbst fähig genug, ihm so sehr zu folgen, dass das Ganze wie ein Orchester anmutet. Oder, so wie gegen die Jungen aus England, gegen die es jedenfalls kein L'Amourhatscher war, wie eine Heavy-Metal-Partie.

Die Engländer, erzählt Modric aus dem Motivationsnähkästchen, haben es gewagt, an der kroatischen Physis zu zweifeln. "Sie haben uns unterschätzt, das war ihr großer Fehler. Wir haben die englischen Zeitungen gelesen und uns gesagt: 'Genial! Wir schauen jetzt, wer müde ist.'"

Aber mit der Unterschätzung allein lässt sich der kroatische Triumph natürlich nicht erklären. Um so zu spielen, gehört schon eine sehr erfahrene, in unzähligen Treffen gestählte Truppe dazu. Gareth Southgate, Englands Coach, sagt also: "Es war eine Niederlage gegen die größere Erfahrung. Aber die Mannschaft wird stärker daraus hervorgehen."

Für Kroatiens Goldene Generation ist das Finale ein historischer Höhepunkt: Sie haben die Vätergeneration um Verbandspräsident Davor Suker vom Thron im Herzen der Anhängerschaft gestürzt. Jetzt gehen die alten Hasen um (um nicht zu sagen unter) Modric und dem Kumpelcoach Dalic aufs Ganze.

Das Brennen

Kein Wunder, dass überall, wo die Fußballherzen im Takt des Luka Modric schlagen, alle ein bisserl aus dem Häuschen sind. Ob am Trg bana Josipa Jelacica im Herzen von Zagreb, auf der Ottakringer Straße, nicht im Herzen von Bec, oder im Café Murzi im burgenländischen Pajngrt: Überall kocht es. "Kroatien brennt, aber wir sind noch längst nicht ausgebrannt, verspricht Goalie Danijel Subasic.

Dass bei diesem Brennen zuweilen was durchbrennt – wer wollte das leugnen? Das ändert aber nichts daran, dass wir ein, wenn schon nicht schönes, so doch großes Spiel erlebt haben. Man serviere also den letzten Gang! (Wolfgang Weisgram, 12.7.2018)