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Die Baukosten für das britische Kraftwerk Hinkley Point dürften sich nach Angaben der EU-Kommission auf rund 28 Milliarden Euro belaufen.

Foto: Reuters / Toby Melville

Quer durch Mitteleuropa, einmal über den Ärmelkanal: Rund 1.700 Kilometer hat man zurückgelegt, bis man von Österreich in Somerset im Südwesten Englands angelangt ist, wo die ersten Vorarbeiten für das Kernkraftwerk Hinkley Point laufen. Trotz der Distanz gehen bei der heimischen Regierung beim Gedanken an das AKW die Wogen hoch, denn Großbritannien darf dem Kraftwerk laut EU-Kommission mit Staatsbeihilfen unter die Arme greifen: Das Land hat den Betreibern einen hohen Einspeisetarif für 35 Jahre zugesagt.

Österreich hatte 2015 gegen die Beihilfen geklagt, jetzt hat das Gericht der Europäischen Union in Luxemburg die Klage in erster Instanz abgewiesen.

Grundsätzlich sind Beihilfen wie jene in Großbritannien in der EU verboten. Allerdings kann es bei Investitionen, die von allgemeinem Interesse sind, Ausnahmen geben. Dieses "gemeinsame" Interesse müsse laut Gericht nicht unbedingt im Interesse aller Mitgliedstaaten oder der Mehrheit der Mitgliedstaaten liegen. Jeder Mitgliedstaat habe das Recht, zwischen verschiedenen Energiequellen zu wählen.

Mögliche Berufung

Das Umweltministerium kann die Entscheidung nicht nachvollziehen. Man sei nach wie vor der Ansicht, dass die Kommission nicht korrekt gehandelt habe, nicht nur in rechtlicher, sondern auch in politischer Hinsicht, hieß es in einer Aussendung. Im Ministerium werde nun überlegt, eine mögliche Berufung einzulegen. Auch Umweltorganisationen beklagten die Entscheidung. "Es kann nicht sein, dass Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zur Kassa gebeten werden, um veraltete Hochrisikotechnologien zu finanzieren, die sonst am Strommarkt nicht bestehen könnten", hieß es etwa von Greenpeace Österreich.

Großbritannien ist längst nicht das einzige Land, das Österreich mit seinen Plänen ein Dorn im Auge ist. Rund 180 Kilometer von der Grenze entfernt befindet sich Ungarns einziges Kernkraftwerk Paks. Vergangenes Jahr hatte die EU-Kommission auch dort grünes Licht gegeben, mit staatlichen Beihilfen den Ausbau voranzutreiben: Zwei neue Reaktoren sollen in Paks entstehen. Sie sollen zunächst neben den vier in Betrieb befindlichen Reaktoren laufen, die in den 80er-Jahren gebaut wurden und erst zwischen 2032 und 2037 abgeschaltet werden sollen. Zusammen sollen die Reaktoren dann 86 Prozent des ungarischen Stroms liefern.

Dominoeffekt bei Nachbarstaaten

Wie bei Großbritannien brachte Österreich auch in diesem Fall Anfang des Jahres eine Klage vor dem Gericht der Europäischen Union ein. Umweltorganisationen sorgen sich nicht nur um die räumliche Nähe zum Kraftwerk, sondern auch um den billigen Strom, der den österreichischen Anbietern Konkurrenz machen könnte. Zudem wird befürchtet, dass der Ausbau einen Dominoeffekt bei anderen Kraftwerken in der Umgebung auslösen könnte: Denn auch in Dukovany in Tschechien, Bohunice in der Slowakei, Belene in Bulgarien und Cernavodă in Rumänien existieren Erweiterungspläne.

Beispiel Dukovany: Erst vor wenigen Wochen machten Niederösterreich, Wien und Oberösterreich wieder gegen den geplanten Ausbau des über 30 Jahre alten Kraftwerks mobil. Dort ist geplant, zwei zusätzliche Reaktoren zu errichten, für die anderen vier Blöcke wurde 2017 die Laufzeit zeitlich unbefristet verlängert.

Präzedenzfall für weitere Atomprojekte

Die Sorge über das 32 Kilometer von der Grenze entfernte AKW ist nicht ganz aus der Luft gegriffen: Mehrmals mussten Reaktoren bereits unplanmäßig abgeschaltet werden, vor zweieinhalb Jahren wurden bei einer Kontrolle Mängel bei den Röntgenaufnahmen von Schweißnähten festgestellt.

Dass das Großbritannien-Urteil einen Präzedenzfall für andere Atomprojekten in Europa bilden könnte, hält auch Umweltrechtsanwalt Christian Schmelz für wahrscheinlich. "Legt sich das EU-Gericht fest, wird man von den Grundsätzen nurmehr schwer abweichen."

Geringe Erfolgsaussichten

Gestützt habe sich die Entscheidung auch auf den Euratom-Vertrag von 1957, in dem die Förderung für Kernenergie festgehalten ist. Denn auch die Atombefürworter würden wissen, dass kaum ein Kraftwerk ohne Förderungen zu bewerkstelligen ist. Österreich habe mit seiner Berufung und möglichen anderen Klagen geringe Erfolgsaussichten, so Schmelz.

Der Streit entbrennt auch an der Rolle der erneuerbaren Energien. In Österreich weist man Großbritannien darauf hin, dass der Strom auch mit Windkraft erzeugt werden könnte. Vergleichbare Kapazitäten in derselben Zeit zu erzeugen sei aber unrealistisch, so die EU-Kommission.

Österreich sei mit seiner Wasserkraft eben privilegiert, lautet die häufige Argumentation aus Großbritannien. Allerdings war auch für Großbritannien 2017 ein besonderes Jahr: Erstmals wurde in dem Land mehr Strom aus Sonnen- und Windkraft erzeugt als mit Atomenergie. (Jakob Pallinger, 12.7.2018)